
Symbolbild Gender Boxing. Erzeugt duch die KI Gemini
Bekanntlich hat der Boxsport neuerdings die Regelung erlassen, dass Teilnehmerinnen in der Frauenkategorie einen Geschlechtsnachweis erbringen müssen. Da diese Regelung auch für den Schachsport richtungsweisend sein könnte, wollen wir uns tiefer damit befassen.
Dies hat nun sogar dazu geführt, dass das französische Team vom Wettbewerb ausgeschlossen wurde, weil die den Nachweis nicht rechtzeitig vorlegen konnte, wie einer aktuellen Pressemeldung zu entnehmen ist.
Auszug: „Trotz der Garantien, die uns World Boxing gegeben hatte, war das von ihnen empfohlene Labor nicht in der Lage, die Ergebnisse rechtzeitig zu liefern, hieß es in einer Stellungnahme.“
Auch die Süddeutsche Zeitung berichtet unter der Schlagzeile: Wer bei der WM im Boxen und in der Leichtathletik in der Frauen-Kategorie starten will, muss sich einem Gentest unterziehen. Die neue Maßnahme wird kontrovers diskutiert – und juristisch angefochten.
Aktuell wurde im Redaktionsnetzwerk Deutschland eine Diskussion mit widerstreitenden Argumenten zum geforderten Geschlechtstest abgedruckt, die durchaus lesenswert ist.
Wir haben uns die Mühe gemacht, die Argumente pro und contra näher zu betrachten, und mithilfe von KI zu einzuorden:
Die Autorin Irene Habich führt folgende Pro-Argumente für Geschlechtstests im Boxen an:
- Fairness im Wettkampf: Geschlechtstests sollen sicherstellen, dass alle Teilnehmerinnen auf einer vergleichbaren biologischen Basis antreten, was im Sinne eines fairen Wettbewerbs unerlässlich ist. Ziel ist der Schutz vor unfairer Konkurrenz durch Sportlerinnen, die (eventuell physische) Vorteile haben, die in einer Frauenkategorie nicht als fair angesehen werden.
- Sicherheit der Sportlerinnen: Da Männer in der Regel eine höhere Muskelmasse und größere Schlagkraft besitzen als Frauen, könnten boxende Frauen Gefahr laufen, im Wettkampf gegen genetisch männliche Konkurrentinnen ernsthaft verletzt zu werden. Tests sollen diese Risiken minimieren.
- Klarheit und Transparenz: Durch die Durchführung von Geschlechtstests können Unsicherheiten und Spekulationen über das eigentliche Geschlecht von Athletinnen beseitigt werden, was zu einer offeneren und ehrlicheren Wettbewerbsatmosphäre beiträgt.
- Regelkonformität: Die Tests helfen, eine klare Abgrenzung und Einhaltung der Regeln der Sportart zu gewährleisten, indem sie sicherstellen, dass die Teilnahmevoraussetzungen objektiv und überprüfbar sind.
Unsere Einordnung: All diese Argumente sind logisch und klar nachvollziehbar. Die Sportverbände haben die Aufgabe, einen fairen Wettbewerb zu gewährleisten. Im Boxen kommt noch hinzu, dass auch die Sicherheit der Athletinnen gewährleistet werden muss.
Die Autorin Kira von der Brelie führt folgende Contra-Argumente für Geschlechtstests im Boxen an:
- Diskriminierung und Identitätsfragen: Geschlechtstests führen dazu, dass die betroffenen Sportlerinnen in ihrer Identität infrage gestellt werden. Es entsteht eine ständige Diskussion darüber, ob sie „richtige“ Frauen seien.
- Zukunft der betroffenen Sportlerinnen: Frauen, die den Test nicht „bestehen“, stehen vor dem Ende ihrer Karriere, da sie nicht sinnvoll in einer Männerkategorie konkurrieren können. Dies führt zu einem Ausschluss, der als diskriminierend und menschenunwürdig angesehen wird.
- Zweifel an der Testmethodik: Die Tests könnten Karrieren ungerechtfertigt beenden, da sie möglicherweise keine genaue Aussage über körperliche Vorteile machen. Fachleute kritisieren, dass die Tests nicht zwingend die funktionalen Auswirkungen eines männlichen Chromosomensatzes berücksichtigen.
- Seltenheit des Phänomens: Intergeschlechtlichkeit ist kein verbreitetes Phänomen im Spitzensport. Die Debatte wird vor allem durch einige prominente Fälle geprägt.
- Alternative Maßnahmen zur Unterstützung von Frauen im Sport: Statt sich auf Geschlechtstests zu fokussieren, sollten andere Maßnahmen ergriffen werden, um Frauen im Sport zu unterstützen, wie bessere mediale Berichterstattung, finanzielle Ressourcen und weibliche Repräsentation in Führungsrollen.
Unsere Einordnung dazu:
- Die Diskussion über das Geschlecht ist bei Transgendern offensichtlich angebracht, selbst wenn es für die Betroffenen persönlich belastend sein sollte, sie lässt sich auch leider nicht vermeiden, da oft schon das optische Erscheinungsbild der betroffenen Athletinnen nicht dem angegebenen Geschlecht entspricht.
- Eine Sportkarriere kann nur dann verfolgt werden, wenn die Teilnahmevoraussetzungen in der betreffenden Disziplin erfüllt sind. Ist das biologische Geschlecht überwiegend männlich, besteht die Möglichkeit, im offenen Wettbewerb anzutreten, und dort die Karriere fortzusetzen. Reichen die „Kräfte“ dazu nicht aus, dann ist es eben so: die Sportkarriere ist beendet. Man kann es nicht immer allen recht machen!
- Selbst wenn die Tests zur Geschlechtsbestimmung eine geringe Fehlerquote haben sollten (und somit im Einzelfall zu einem falschen Ausschluss der Atheltin führen können), so sind sie doch im Interesse aller Teilnehmerinnen, um einen fairen Wettbewerb zu gewährleisten. Im Einzelfall kann natürlich von der betroffenen Athletin gegen den Ausschluss vor dem Sportsgerichtshof geklagt werden.
- Die offensichtlich geringe Häufigkeit der Fälle entbindet die Sportverbände nicht von der Verpflichtung, einen fairen Wettkampf zu gewährleisten. Und gerade die Negativbeispiele die in der Presse wiederholt berichtet wurden, richten in der Öffentlichkeit großen Schaden für den betreffenden Sportverband an, weil der Eindruck entsteht, dass der Verband den Wettbewerb nicht im Griff hat.
- Das letzte Argument lenkt ganz von der eigentlichen Diskussion ab, nämlich der Fairness des Wettkampfs. Es geht bei der Sachdiskussion nicht um die Förderung des Frauensports, sondern um die Gewährleistung eines fairen Wettbewerbs.
Es ist offensichtlich, dass die neuen Regelungen zu verpflichtenden Geschlechtstests zu vermehrten Gerichtsprozessen führen werden, was sicher auch nicht ganz im Sinne des Erfinders ist.
Wir haben uns die Mühe gemacht, den Klageweg der Leichtathletin Semenya nachzuvollziehen, die sich durch alle Instanzen klagte und am Ende vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in ihrer Rechtsauffassung bestätigt wurde.
Auszug aus den Gerichtsakten des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte.
Die Klägerin, M. C. Semenya, ist südafrikanische Staatsangehörige, wurde 1991 geboren und lebt in Pretoria (Südafrika). Sie ist eine internationale Leichtathletin, die sich auf Mittelstreckenläufe (800 bis 3 000 m) spezialisiert hat.
Im Jahr 2009 teilte der Internationale Leichtathletik-Verband (IAAF) der Klägerin nach ihrem Sieg im 800-m-Lauf der Frauen bei den Weltmeisterschaften in Berlin mit, dass sie ihren Testosteronspiegel unter einen bestimmten Schwellenwert senken müsse, wenn sie bei künftigen internationalen Leichtathletikwettbewerben in ihren bevorzugten Disziplinen antreten wollte. (…)
Obwohl die Klägerin unter erheblichen Nebenwirkungen der Hormonbehandlung litt, gewann sie den 800-m-Lauf der Frauen bei den Weltmeisterschaften in Daegu (2011) und den Olympischen Spielen in London (2012).
Nach dem Zwischenurteil vom 24. Juli 2015 im Fall Dutee Chand, mit dem der Court of Arbitration for Sport (CAS) die damals geltenden IAAF-Regeln vorübergehend aussetzte, stellte die Klägerin ihre Hormonbehandlung ein.
Im April 2018 verabschiedete die IAAF ein neues Regelwerk mit dem Titel „Eligibility Regulations for theFemale Classification (Athletes with Differences of Sex Development)“ – „die DSD-Regeln“. Die Klägerin, die nicht bestritt, eine „relevante Athletin“ im Sinne des DSD-Reglements zu sein, weigerte sich, diese zu befolgen, da es von ihr verlangte, sich einer Hormonbehandlung mit unklaren Nebenwirkungen zu unterziehen, mit dem Ziel, ihren natürlichen Testosteronspiegel zu senken, um in der weiblichen Kategorie an einem internationalen Wettkampf teilnehmen zu dürfen.
Im Juni 2018 focht die Klägerin die Gültigkeit des DSD-Reglements (CAS/2018/O/5794) vor dem Sportgericht CAS mit Sitz in Lausanne an.
Im April 2019 wies das Sportgericht CAS den Antrag der Klägerin auf ein Schiedsverfahren zurück; es stellte fest, dass die DSD-Regeln zwar diskriminierend seien, jedoch ein notwendiges, angemessenes und verhältnismäßiges Mittel zur Erreichung der Ziele der IAAF darstellten, nämlich die Gewährleistung eines fairen Wettbewerbs.
Im Mai 2019 legte die Klägerin beim Bundesgericht eine Zivilklage ein und argumentierte insbesondere, dass sie im Vergleich zu männlichen und weiblichen Athleten ohne DSD aufgrund ihres Geschlechts diskriminiert worden sei und dass ihre Menschenwürde und Persönlichkeitsrechte verletzt worden seien.
Im August 2020 wies das Bundesgericht die Berufung der Klägerin zurück und befand, dass die betreffenden Vorschriften ein geeignetes, notwendiges und verhältnismäßiges Mittel zur Erreichung der legitimen Ziele der Fairness im Sport und der Wahrung der „geschützten Gruppe” seien.
Daraufhin klagte die Athletin am 18. Februar 2021 vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, mit folgenden Stationen:
In ihrem Urteil vom 11. Juli 2023 stellte eine Kammer des Gerichtshofs mehrheitlich fest, dass eine Verletzung von Artikel 14 in Verbindung mit Artikel 8 und eine Verletzung von Artikel 13 in Verbindung mit Artikel 14 in Verbindung mit Artikel 8 der Konvention vorlag.
Art. 13 und 14 der Europäischen Menschenrechtskonvention lauten wie folgt:
Art. 13 Recht auf wirksame Beschwerde
„Jede Person, die in ihren in dieser Konvention anerkannten Rechten oder Freiheiten verletzt worden ist, hat das Recht, bei einer innerstaatlichen Instanz eine wirksame Beschwerde zu erheben, auch wenn die Verletzung von Personen begangen worden ist, die in amtlicher Eigenschaft gehandelt haben.“
Art. 14 Diskriminierungsverbot
„Der Genuss der in dieser Konvention anerkannten Rechte und Freiheiten ist ohne Diskriminierung insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen oder sozialen Herkunft, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt oder eines sonstigen Status zu gewährleisten.“
Am 9. Oktober 2023 beantragte die Schweizer Regierung die Verweisung der Rechtssache an die Große Kammer gemäß Artikel 43 der Konvention, und am 6. November 2023 gab eine Kammer der Großen Kammer diesem Antrag statt. Mehrere Dritte (darunter die Regierung des Vereinigten Königreichs, der Hohe Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte und World Athletics) wurden als Streithelfer im schriftlichen Verfahren zugelassen.
Ergebnis des Verfahrens (Auszug aus der Entscheidung vom Juni 2025):
„Das Gericht stellte fest, dass sich die Klägerin auf mindestens einen Diskriminierungsgrund nach Artikel 14 der Menschenrechtskonvention berufen konnte und dass sie geltend machen konnte, Opfer einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts und auch aufgrund sexueller Merkmale (insbesondere genetischer Merkmale) zu sein, ein Begriff, der in den Anwendungsbereich von Artikel 14 fällt. Das Gericht vertrat die Auffassung, dass sich die Klägerin in einer vergleichbaren Situation wie andere weibliche Sportler befand und dass sie im Vergleich zu diesen Sportlern unterschiedlich behandelt wurde, da sie aufgrund der DSD-Verordnung von der Teilnahme an Wettkämpfen ausgeschlossen worden war.“
Da die Klägerin keine Ansprüche in Bezug auf materielle oder immaterielle Schäden geltend gemacht hat, hat das Gericht in diesen Bereichen keinen Schiedsspruch erlassen. Es entschied jedoch (mit 4 gegen 3 Stimmen), dass die Schweiz der Klägerin 60.000 Euro an Kosten und Auslagen zu zahlen habe.