Girls & Schach #10
Die Europa-Jugendmeisterschaften sind vorbei und haben für Deutschland besonders in den jüngsten Klassen der Mädchen enttäuschende Ergebnisse gezeigt. Da leider nur eine geringe Anzahl Partien veröffentlicht wurde, ist eine genaue Analyse nur eingeschränkt möglich. Wir können aber das Spiel der Besten anschauen und es mit dem Niveau der DEM U8 der letzten Jahre vergleichen, was einen Hinweis geben kann, wo der Unterschied liegen mag.
Die souveräne Siegerin der U8w, Stella Zhu (FIN) 8 aus 9 ungeschlagen, ist sicher ein Ausnahmetalent. Sie war bereits 12. der WM 2025 u8w (7,5/11) und eine der wenigen, die mit den Girls der asiatischen Länder mithalten konnte. Sie spielt Damengambit und Französisch und das in einer reifen Weise, macht kaum Fehler und spielt stets nach vorne. Sie ist bereits, was man eine „fertige Spielerin“ nennen kann und dürfte in absehbarer Zeit WIM werden und auch mehr.
Die starken türkischen Mädchen, die zu fünft in der Spitze mitmischten (Ada Zeynep Koken gewann Silber mit 7,5/9 und verlor nur gegen Stella) spielten durchweg 1.e2-e4 und wichtiger noch, sich spielten stets nach vorne und fast immer konnte man in ihren Zügen in unklaren Stellungen einen Sinn und Plan feststellen. In vielen Partien wurde heftig gekämpft. Klare Fehler kamen kaum je vor.
Dies anzuschauen war ein wohltuender Kontrast zum Spiel in der DEM U8w, wo einfache taktische Fehler in Massen vorkommen und das Spiel sehr oft rein defensiv und abwartend war.
Offensichtlich wird im Mädchen-Training in Deutschland die Eröffnung vernachlässigt. Hinzu kommt die Anwendung von Eröffnungen, die die anscheinend natürliche Neigung der Girls, risikoarm und zurückhaltend zu spielen, noch unterstützen. Geschlossene Eröffnungen sind zudem taktikarm und die Girls verpassen, wenn sie früh auf diese eingestellt werden, eine große Menge an taktischem Wissen und Können. Was kann etwa ein stereotyper Aufbau wie
1.d2-d4 d7-d5 2.Sg1–f3 Sg8-f6 3.Lc1–f4 Lc8-f5 4.e2-e3 e7-e6 5.c2-c3 schon an Gefühl für Taktik vermitteln?
Die Entwicklung eines Schachspielers verläuft in der Regel in etwa parallel zu der der Schachgeschichte. Von Grecos Sammlung von Fallen und Reinfällen über die Entwicklung der Technik durch Philidor und Steinitz und Tarrasch bis hin zur Hypermodernen. Dies auszulassen und gleich zu geschlossenen Eröffnungen zu gehen kann im Kinderschach anfangs durchaus erfolgreich sein. Die Gegnerinnen wissen mangels Erfahrung nicht, was sie tun sollen und machen früher oder später einen Fehler, besonders bei kurzen Bedenkzeiten. Aber das hält nicht lange vor und bald machen sich die taktischen Defizite, die das Spiel mit solchen Eröffnungen bewirkt, bemerkbar. Nach z.B. zwei Jahren mit geschlossenem Spiel ist es sehr schwer, das taktische Defizit aufzuholen, es dürfte wohl zumindest einem verlorenen Jahr entsprechen. Aber auch mit offenen Eröffnungen können die Girls lahm und taktikarm spielen. Besonders das Vierspringerspiel führt zu öden Stellungen, wo keine Seite eine Idee entwickelt.
Ich habe das in meiner Broschüre „Schachtraining für Girls“ ausführlich gezeigt und auch hier auf Schachkicker schon darauf hingewiesen, aber es wird wohl ungehört bleiben.
Dennoch fasse ich die nötigen Maßnahmen noch einmal zusammen:
- Wahl einer Ersteröffnung, die aktives Spiel erfordert. Schottisch oder Wiener Partie sind meine Favoriten. Wer hier lahm spielt, wird bald von Gegner/in attackiert werden und nach einigen Reinfällen schnell lernen, dass man selbst nach vorne spielen muss.
- Kenntnis sowohl des generellen Plans der gewählten Eröffnung als auch der wichtigsten Varianten, die bis zu ca. 8-10 Zügen bekannt sein sollen. Bei der DEM u8w verloren manche Spielerinnen bereits nach wenigen Zügen den Faden, waren nicht in der Lage, die üblichen, naheliegenden Züge zu finden.
- Abgewöhnen von sinnlosem Abtausch. Viele Girls tauschen möglichst schnell möglichst viel ab, wohl auch, weil sie nicht wissen, was sonst zu tun wäre. Das verflacht die Stellung und macht es noch schwerer, einen Plan zu finden. Die Vorderplatzierten der Europa- und Weltmeisterschaften tauschten nur ab, was nötig und sinnvoll ist und verhinderten so das Verflachen des Spiels.
- Im Einzel- oder Kleingruppentraining sollte Trainer/in bei Trainingspartien viele Fragen stellen: „Warum hast du das gezogen, was ist deine Absicht, dein Plan? / Was könntest du stattdessen ziehen? / Was könnte Gegner/in nun tun?“ / etc.
Dies macht der Schülerin Schwächen und Ungenauigkeiten bewusst; schärft ihren Blick; verhilft dazu, unnötige oder gar schwächende Züge zu vermeiden. Ich habe den Eindruck, dass viel Wert auf Wissensvermittlung gelegt wird, aber wenig Wert darauf, dieses Wissen ins Spiel zu integrieren und Feinschliff im Spiel vorzunehmen.
- Ein letzter Punkt ist, Girls möglichst oft gegen Boys und Männer spielen zu lassen, auch wenn das anfangs mit häufigen Verlusten verbunden ist. (Man denke an Vater Polgars Methode, seine Töchter überwiegend in Männerturnieren spielen zu lassen; Judit mit nur einer Ausnahme ausschließlich.) Stellas FIDE Daten zeigen, dass sie wenig gegen andere Girls gespielt hat, aber in Open regelmäßig gegen Männer. Anfangs verlor sie fast ständig, aber wuchs dadurch zu der starken Spielerin heran, die sie nun ist.
Unzureichendes Training, das in die falsche Richtung weist, hat sicherlich einen Anteil am Gender Gap im Bereich der unteren Spielklassen. Das wäre leicht zu vermeiden, wenn man die Grundlagen eines sinnvollen Trainings anwenden würde. Wird man?