
Heute betrachten wir einen weiteren Kritikpunkt, nämlich Trainer und Training im Frauenschach, wobei ich dies wieder auf den Mädchenbereich reduziere.
Die KI sagt: „Frauen … haben seltener Zugang zu professionellem Training …“
Und wir finden oft die Behauptung, dass Frauen schwächere Trainer erhalten als Jungs.
Tatsächlich ist Letzteres wahr! Aber das ist tatsächlich keine Benachteiligung, denn es gibt eine ganz einfache Erklärung und das ist das Gender Gap. Als Beispiel zeige ich nachfolgend die Elo-Durchschnitte bei den Deutschen Jugendmeisterschaften 2025:
U18 Elo 2140; von 1790 bis 2432 / U18w Elo 1832; von 1544 bis 2107
U16 Elo 2087; von 1658 bis 2335 / U16w Elo 1787; von 1391 bis 2056
U14 Elo 1924; von 1683 bis 2315 / U14w Elo 1664; von 972 bis 1995
U12 Elo 1775; von 1341 bis 2165 / U12w Elo 1508; von 982 bis 1742
(Einige der besten Spieler/innen haben nicht teilgenommen, aber das würde die Zahlen eher zu Gunsten der Jungen beeinflussen. Rating unter 1400 = DWZ.)
Der Unterschied von bis zu 300 Ratingpunkten macht klar, dass an die entsprechenden Trainer unterschiedliche Anforderungen gestellt werden. Während die Jungen im Durchschnitt zumindest Trainer von CM- bis FM-Stärke benötigen, die Stärkeren sogar Großtitelträger; reichen bei den Mädchen Trainer von ca. 2000 bis CM völlig aus. Stärkere Trainer haben oft wenig Erfahrung mit schwachen Spielerinnen; „Viel hilft viel“ wirkt hier nicht. Oft allerdings wird der Trainer als Statussymbol gesehen, was auch zum Vorurteil beiträgt, dass Mädchen bei der Trainerfrage benachteiligt werden.
Praktiker bestätigen meist die Unterschiede im Training von Jungen und Mädchen. In einem Leserbrief zum ChessBase Nachrichten Artikel „Bunt und inklusiv …“ vom 26.6.25 (s. auch „DSB und DSJ zum Thema Transfrauen, 24.6., Admin) schrieb FM und A-Trainer Wolfgang Pajeken:
„Im Laufe der Jahre sind einige meiner Schülerinnen Deutsche Jugendmeisterinnen geworden und haben dabei ganz hervorragende sportliche Leistungen erbracht. Dennoch habe ich stets einen sehr großen Unterschied gegenüber dem Jungentraining und auch der schachlichen Entwicklung vergleichbarer Jungen empfunden. Die Jungen sind nach meiner Wahrnehmung in ihrer schachlichen Entwicklung meist noch schneller und noch steiler vorangegangen und waren auch in der Lage intensiver zu trainieren als die vergleichbaren Mädchen.“
Andere Trainer haben ähnliche Erfahrungen gemacht, scheuen sich aber, dies öffentlich zu sagen. Tatsächlich könnte die Masse der DEM-Teilnehmerinnen, also die besten jungen Spielerinnen Deutschlands, allein schon mit Eigentraining deutlich besser werden. Es gibt heute Online so viele Möglichkeiten; nie war autodidaktisches Training so leicht wie heute.
„… Zugang zu professionellem Training…“ setzt ausreichendes Talent, den Willen zu harter Arbeit und Eigenleistung voraus. Die Masse der jungen Spieler (Boys wie Girls) wären gar nicht in der Lage, ein hochkarätiges Leistungstraining durchzustehen. Beispiele für solches finden wir in GM Thomas Luthers Buch „Vom Schüler zum Großmeister“. Dort heißt es:
„Ein junger Spieler sagte einmal, man müsse für das Training mit einem Großmeister trainieren und damit hatte er absolut Recht. Gute Vorbereitungsmethoden sind:
– intensive Analysen über mehrere Stunden;
– Häufiges Berechnen von langen Varianten im Kopf;
– Lösen einer großen Anzahl von Taktikaufgaben unter Zeitdruck (z. B. 100 Aufgaben je nach Schwierigkeitsgrad in 1 – 2 Stunden);
– Intensive, mehrstündige Suche nach Material in Datenbanken.“
(Anmerkung: der junge Spieler arbeitete lange Zeit hart an seinem Schach und wurde selbst GM.)
Thomas gibt ebenda auch ein umfangreiches Beispiel aus seiner Trainerpraxis, das zeigt wie Spieler, die wirklich nach oben streben, zu arbeiten fähig und bereit sind. Die Eltern eines 15jährigen Jungen in einem asiatischen Land vereinbarten ein dreiwöchiges Training mit ihm. Er schreibt:
„Wir begannen morgens gegen 9 Uhr mit dem Training, arbeiteten intensiv bis zum Mittagessen und bald danach wieder bis zum Abendessen, regelmäßig um die acht oder mehr Stunden pro Tag. Das ist deutlich mehr als die bei Trainingslagern üblichen zwei mal drei Stunden täglich, obwohl bei diesen ja meist in der Gruppe trainiert wird, was viel leichter für die Schüler ist.
Der Junge hatte eine Stärke Mitte der 2300er und hatte mir einige Wochen zuvor etwa hundert seiner Partien aus den letzten beiden Jahren zugeschickt, die ich mir schon angeschaut hatte. Nun gingen wir diese Partien intensiv durch und analysierten interessante und wichtige Stellungen, oft etliche Stunden lang in erheblicher Tiefe. Danach wollte er unbedingt noch blitzen und wir spielten regelmäßig vier bis sechs Partien, teils zu den in unseren Analysen behandelten Eröffnungen, aber auch andere.“
Im Kapitel „Vertiefte Analyse einer Variante“ gibt es auf ca. 30 S. auch ein konkretes Beispiel für die Trainingsinhalte. Der Junge wurde übrigens Großmeister.
Das ist natürlich ein krasses Beispiel für „professionelles Training“, zeigt aber, was – ausgenommen vielleicht einige Supertalente – Spieler beiderlei Geschlechts auf sich nehmen müssen, um über Elo 2500+ zu kommen (854 weltweit, aktiv 612; davon 16 Frauen, aktiv 11), geschweige denn noch weiter.
Es ist anzunehmen, dass die Bereitschaft zu solchen Härten bei Jungen häufiger vorkommt als bei Mädchen. Diese fast fanatische Hingabe an die Sache, der unbedingte Wille zum Erfolg auch um einen hohen Preis ist vermutlich einer der Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Natürlich kann und will nicht jede(r) ein solch intensives Trainingsprogramm auf sich nehmen, darf dann aber auch nicht klagen, wenn die Leistung nicht weiter nach oben geht.
Ich habe selbst viele Fälle von Leistungstraining beobachten können und kann sagen, dass viele der Kids große Mühe hatten, auch nur einfache Formen wie je 2 x 3 Stunden am Wochenende durchzustehen. Viele der Leser mit geringerer Spielstärke machen sich keine Vorstellung, wie hart ein solches Training ist, welche Überwindung es kosten, das durchzuhalten. Beim derzeitigen Niveau des Mädchenschachs wären nur sehr wenige in der Lage, selbst ein auf ihr Niveau stark abgespecktes Leistungstraining durchzustehen. Das Fehlen von „Professionellem Training“ zu beklagen ist daher kaum gerechtfertigt und dieses kann ja heute als Internet-Training durchaus für Jedergirl bezogen werden. Von den derzeit stärksten deutschen Mädchen ist zudem bekannt, dass viele einen starken Trainer haben, darunter auch GMs. Trainer und Trainingsinhalte werden oft geheim gehalten, so dass es wahrscheinlich mehr Training mit Mädchen gibt, als die Kritiker und die KI wissen.
Hier kann natürlich auch eine Rolle spielen, dass die relativ leichten Erfolge mit ihren Belohnungen und Titeln vielen Mädchen schon genügen; der entschlossene Wille fehlt, ihre Grenzen auszuloten und zu erweitern. Im Falle der oben angeführten DEM u18w etwa ist es nicht glaubhaft, dass nach wohl 8-10 Jahren Schach inkl. einiger Förderung die besten Schach-Mädchen Deutschlands nicht mehr erreichen als diese moderaten Rating-Werte.
Zudem ist Training nicht alles. Erst die Verbindung von Training und Turnierschach bringt wirklich weiter und leider spielen die meisten Mädchen zu wenige oder zumindest zu schwache Turniere, in welche Kategorie auch die meisten Mädchenturnire fallen.
Anregung: Eine Broschüre mit Ratschlägen für Mädchentrainer/innen, zu deren Erstellung auch Experten aus den Gebieten Pädagogik und Kinderpsychologie herangezogen werden sollte. Es wäre ein weiterer Baustein zu einer Materialsammlung für eine zukünftige akademische Ausbildung für Schachlehrer.
Vielleicht noch ein ergänzender Kommentar dazu: bei meinem letzten Kadertraining in München, übrigens mit lauter Jungen, habe ich zunehmend die Lust verloren, weil die Gruppe sehr undiszipliniert war! Ich denke, Mädchen hätten sich hier besser verhalten. Werde künftig kein Jugendtrainig mehr geben, außer vielleicht für Kleinstgruppen.
Ich hatte ja Susan Polgars Buch gelesen, da war (für mich) erstaunlich, mit welcher Härte Susan trainierte.
Jedenfalls fiel mir das Unerbitterliche des Trainings auf.
Vielleicht hatte ich überlesen, was der (eigentliche) Grund dafür war.
Vielleicht hatte sie an sich selbst Sprünge des Könnens erfahren, also ein abruptes Vorwärtsdringen in höhere Spielsphären. So etwas kann ja ungemein motivieren, noch weiter zu gehen.
Es gab zudem auch kaum Ablenkungen vom Pfad.