
Man kann gar nicht mehr zählen, wie oft die Frage aufgeworfen wurde, weshalb Frauen im Schnitt schlechter Schach spielen als Männer (etwa 200 bis 250 Elopunkte), und warum deutlich weniger Frauen im Schach aktiv sind als Männer – jedoch hatte man dabei oft den Eindruck, dass kein eindeutiges Ergebnis bei der Diskussion herauskam, und dass auch zwei unvereinbare Positionen aufeinander prallen – die eine Seite meint: Frauen werden im Schach niemals mit Männern gleichziehen, während die andere Seite die Ansicht vertritt, dass es bei besserer Statistik (Mengenverteilung von Männern und Frauen im Schach) durchaus eine Angleichung in der Breite und in der Spitze geben könnte.
Die ehemalige Schachweltmeisterin Hou Yifan hat sich jüngst in einem Interview mit chess.com zu den Gründen des Spielstärkeunterschieds zwischen Frauen und Männern geäußert. Dies, sowie die laufende Studie des DSB und der DSJ zum Frauenschach war für uns der Anlass, tiefer in das Thema einzusteigen, und auch immer wieder die KI dazu zu befragen.
Vorab seit verraten: es kamen interessante Ergebnisse dabei heraus! Im folgenden Text sind Aussagen von Hou Yifan mit (HY) markiert, Aussagen des Autors mit (GH), und Aussagen der KI (Perplexity) mit (KI). An manchen Stellen entwickelt sich auch ein fiktiver Dialog zwischen den drei Instanzen.
Wichtig ist uns der Hinweis, dass mit diesem Beitrag in keinster Weise beabsichtigt ist, Frauenschach abzuwerten, ganz im Gegenteil soll der Beitrag dem besseren Verständnis der Unterschiede und des geschlechterbedingten Zugangs zum Schach dienen.
Die Untersuchung gliedert sich auf in die intrinsischen (von innen einwirkenden) und die extrinsischen (von außen einwirkenden) Faktoren. Das ist eine sehr wichtige Unterscheidung, denn ganz offensichtlich, spielen sowohl äußere wie auch innere Faktoren eine große Rolle bei dem Thema! Oder anders formuliert: das Spektrum fängt mit der Biologie an und hört mit der Gesellschaft auf, denn der Mensch ist nun mal ein biologisches und soziales Wesen!
A) Intrinsische Faktoren
A1) Gehirnaufbau (KI)
Ist bei Frauen etwas anders als bei Männern. Wissenschaftlich erforschte Beispiele aus der Gehirnforschung: (KI)
- Frauen haben anteilig mehr graue Hirnsubstanz (vor allem im Stirnhirn, Scheitel- und Schläfenlappen), während Männer mehr weiße Substanz und ein größeres Volumen in bestimmten hinteren und seitlichen Arealen des Cortex besitzen, darunter das primäre Sehzentrum.
- Bei Frauen sind die beiden Gehirnhälften stärker miteinander vernetzt. Männer zeigen dagegen eine stärkere Vernetzung innerhalb der jeweiligen Hemisphäre
- Die Mikrostruktur der Gehirnrinde und des Hippocampus unterscheidet sich regional zwischen den Geschlechtern. Diese Unterschiede können sich im Laufe des weiblichen Hormonzyklus verändern oder sogar verschwinden
- Frauen schneiden bei sprachlichen und sozialen Aufgaben im Durchschnitt etwas besser ab. Männer zeigen Vorteile bei räumlicher Orientierung und motorischen Fähigkeiten
A2) Hormonhaushalt (KI)
Hormone wie Testosteron und Östrogen beeinflussen kognitive Fähigkeiten, die beim Schachspiel relevant sind, etwa Gedächtnis, Konzentration, Risikobereitschaft und Entscheidungsfindung.
Die Wirkung ist komplex und hängt von Geschlecht, Alter, Zyklusphase und individuellen Faktoren ab, dennoch lassen sich folgende Beobachtungen ableiten:
A21) Testosteron und Schach (KI)
- Testosteron wird mit erhöhter Risikobereitschaft und aggressiverem Verhalten in Verbindung gebracht. Studien zeigen, dass ein erhöhter Testosteronspiegel bei Männern zu einer größeren Risikobereitschaft führen kann, was sich im Schach in riskanteren Zügen äußert.
- In Bezug auf kognitive Leistung gibt es Hinweise, dass Testosteron das räumliche Vorstellungsvermögen und die Aufmerksamkeit beeinflussen kann, was für das Schachspiel vorteilhaft sein kann. Allerdings sind die Forschungsergebnisse uneinheitlich: In manchen Studien verbesserte Testosteron die räumliche Wahrnehmung, in anderen verschlechterte es sie oder hatte keinen Effekt.
- Auch der Tagesrhythmus spielt eine Rolle: Bei Männern ist der Testosteronspiegel am Morgen am höchsten, was sich auf die Leistungsfähigkeit auswirken kann
A22) Östrogen und Schach (KI)
- Östrogen beeinflusst das Gedächtnis, die Sprachverarbeitung und die synaptische Plastizität im Gehirn. Bei Frauen schwankt der Östrogenspiegel im Monatszyklus stark, was sich auf kognitive Leistungen auswirken kann.
- In der Phase des hohen Östrogenspiegeld sind verbale und Arbeitsgedächtnisleistungen bei Frauen oft besser, während in der Phase des niedrigen Östrogenspiegels diese Fähigkeiten abnehmen können. Räumliche Fähigkeiten scheinen dagegen bei niedrigerem Östrogenspiegel etwas besser zu sein.
- Studien zeigen, dass eine Hormonersatztherapie mit Östrogen bei Frauen nach der Menopause positive Effekte auf das Gedächtnis und die kognitive Flexibilität haben kann.
A3) Zyklusbedingte Schwankungen (KI)
- Frauen erleben durch den Menstruationszyklus regelmäßige hormonelle Schwankungen, die sich auf Energie, Konzentration und mentale Leistungsfähigkeit auswirken können.
- Viele Frauen berichten, dass sie sich rund um den Eisprung besonders leistungsfähig fühlen, während sie in der prämenstruellen Phase häufiger Konzentrationsprobleme oder Leistungseinbrüche erleben.
A4) Kondition
Schach verbraucht viel Energie, besonders wenn die Spiele bis zu fünf oder sechs Stunden dauern, und hier könnten Frauen benachteiligt sein. (HY)
Hierzu sagt die KI: Schachkondition bezieht sich auf die Fähigkeit, über viele Stunden hinweg konzentriert und fehlerfrei zu spielen. Diese Fähigkeit ist trainierbar und hängt vor allem von Erfahrung, Training und mentaler Vorbereitung ab – nicht vom Geschlecht. Die besten Schachspielerinnen wie Judit Polgár oder Hou Yifan haben wiederholt bewiesen, dass sie auch bei langen Turnieren und in intensiven Partien mit Männern mithalten können. (KI) Die Hormonforschung sagt hierzu jedoch etwas anderes, siehe A2). (GH)
A5) Intuition / Perspektive
Es könnte einen Geschlechtsunterschied geben, wenn es um natürliche Intuition oder das Gefühl für das Spiel geht. (…) Ich vermute, dass die männliche Perspektive auf Schach Männer bevorzugt, vielleicht wenn es um den emotionalen Aspekt des Spiels geht und man praktische und objektive Entscheidungen trifft. (HY)
A6) Fokussierung
Jungen neigen dazu, sich mehr und beharrlich auf eine Sache konzentrieren. Das macht einen großen Unterschied. Diejenigen, die sich stärker anstrengen, erzielen bessere Ergebnisse. (HY) Dies könnte daran liegen, dass die Jungen und Männer eine stärkere Vernetzung innerhalb der jeweiligen Gehirn-Hemisphäre haben. (GH)
Die KI sagt dazu: Es gibt keine wissenschaftlichen Belege dafür, dass Männer sich grundsätzlich besser auf Schach fokussieren können als Frauen. Die kognitive Fähigkeit zur Konzentration und Aufmerksamkeit unterscheidet sich zwischen den Geschlechtern nur minimal oder gar nicht. Die meisten Studien zeigen, dass die individuellen Unterschiede innerhalb eines Geschlechts deutlich größer sind als die durchschnittlichen Unterschiede zwischen Männern und Frauen
A7) Spielstil
Frauen spielen tendenziell vorsichtiger und defensiver, während Männer häufiger auf Angriff setzen. (KI) Dies ist vermutlich eine Folge des Hormonhaushalts (s.o. A22) (GH).
B) Extrinsische Faktoren
B1) Erziehung
Mädchen lernen schon früh, dass es Geschlechtsunterschiede gibt, und sie werden darauf eingestimmt, einfach ihr Bestes in ihrer Kategorie zu versuchen und damit zufrieden zu sein. Ohne die Motivation, höhere Ziele zu verfolgen, ist es für Mädchen schwieriger, sich so schnell zu verbessern wie Jungen, wie sie aufwachsen. (HY)
B2) Trainingsumfeld
Wenn Spieler jünger sind und bessere Trainingsbedingungen vorhanden sind, ist es einfacher, sich schneller und weiter zu verbessern. Einigen der Mädchen fehlen wahrscheinlich diese Bedingungen, während Jungen mehr Zugang dazu haben. (HY) Besonders in Asien und in Osteuropa ist das Trainingssystem oft dem westlichen voraus, weshalb die heutigen Spitzenspielerinnen fast alle aus dem Osten (Osteuropa, Ostasien, vor allem China) kommen. (GH)
B3) Weniger Vorbilder
Frauen fehlt es oft an Vorbildern und an gesellschaftlicher Wertschätzung im Schach. (KI) Wobei man hierzu sagen muss, dass in Deutschland Elisabeth Pähtz seit mindestens 20 Jahren Vorbild ist und es sehr weit gebracht hat, sie war sogar unter den Top 10 der Welt. Und auch Judit Polgar oder eben Hou Yifan haben als große Vorbilder im Schach gewirkt. Somit dürfte dieser Aspekt eher nachrangig sein. (GH)
B4) Vorurteile oder Ausgrenzung
Da Männer deutlich höhere Elozahlen als Frauen haben, und somit stärker spielen, wird Frauenschach von einigen Spielern hart kritisiert, was wiederum bei manchen Mädchen oder Frauen zum Rückzug vom Schach führen dürfte. (KI) Eben aus diesem (und anderen) Gründen werden bereits in der Jugend geschlechtergetrennte Wettbewerbe durchgeführt. (GH)
B5) Familiäre Anforderungen
Familie, Haushalt und Kindererziehung sind bei Frauen im mittleren Alter oft stärker ausgeprägt; Schach muss dann oft pausieren oder wird sogar ganz aufgegeben (KI). Allerdings wird nicht jede Frau Mutter, und es gibt auch starke Schachspielerinnen, die Mütter wurden, und die Schach weiterverfolgt haben. Aber in der Breite dürfte das Argument auf jeden Fall zutreffen. (GH)
Interessant ist in den Zusammenhang, dass Judit Polgar folgendes gesagt hat: „Ich merkte immer mehr, wie viele andere Dinge man im Leben machen kann.“ „Sie wollte sich verstärkt anderen Lebensbereichen widmen, insbesondere ihrer Familie und ihren beiden Kindern, sowie neuen Projekten wie der Förderung des Schachs an Schulen und ihrer eigenen Stiftung. Polgár betonte, dass sie nach einem Vierteljahrhundert an der Weltspitze das Bedürfnis verspürte, ihre Energie und Kreativität in andere Aufgaben zu investieren, etwa das Training der ungarischen Nationalmannschaft, die Organisation von Schachveranstaltungen und ihre Bildungsarbeit.“
B6) Freundeskreis
Da deutlich weniger Mädchen Schach spielen als Jungen, holen sie auch weniger Freundinnen nach; Freunde sind jedoch wichtig bei der frühen Orientierung der Interessen. Allerdings spielen in jungen Jahren noch viele Mädchen Schach, und die Ausdifferenzierung (Mädchen springen vermehrt vom Schach ab) erfolgt erst später. (GH)
B7) Finanzielle Anreize
Preisgelder für Frauen sind oft niedriger als die für Männer, es lohnt sich als Frau kaum, auf eine Profikarriere zu setzen, wobei es in der Tendenz immer mehr Frauenturniere mit guten Preisgeldern gibt. Auch können Frauen als Schachtrainerinnen arbeiten und so ihr Geld verdienen. Insofern sollte dieser Aspekt keine so große Rolle mehr spielen wie früher. (GH)
Fazit dieser Untersuchung
Es gibt eine unglaublich breite Palette von Gründen die dazu führen, dass Männer im Schach stärker spielen als Frauen und auch in der Anzahl stärker vertreten sind. Diese Faktoren sind sowohl biologisch begründet als auch soziologisch. Aber gerade weil es so viele Faktoren gibt, wirken sie auch zum Teil ineinander, und so ist es schwierig, den Hauptfaktor für die niedrigere Spielstärke und die schwächere Beteiligung der Frauen am Schachbetrieb zu finden. Vielmehr sollte man der Tatsache mit Respekt begegnen, dass Frauen anders denken und handeln als Männer, eine Erfahrung die unbestreitbar ist, und die wohl jeder schon gemacht hat!
München, im Juli 2025
Gerald Hertneck
B1) Erziehung
„Mädchen lernen schon früh, dass es Geschlechtsunterschiede gibt.“
Das wirkt sich in Mathematik aus. Zu Anfang der ersten Klasse sind beide gleichauf, dann beginnt die Schere (die sich aber wieder verringert). Grund ist wohl, daß Mädchen unterschwellig (von Lehrkräften/Gesellschaft) signalisiert wird, daß das „nicht ihr Fach ist“.
Ich befragte Perplexity.ai und es sagte mir, daß es 9000 organisierte Schachspielerinnen gibt und 85.000 männliche Schachspieler. Das überraschte mich: Denn sichtbar sind diese 10% an Frauen m.E. nicht. Ich ging von vielleicht 2% an Frauen aus.
Mein Gefühl ist, daß es gesellschaftliche Gründe gibt, daß Frauen nicht beim Schach bleiben, inaktiv werden. Stärker als im Beispiel Mathematik, das ich vorher nannte.
Als Mann würde mich wurmen, daß ich im Sprachlichen schlechtere Anfangschancen hatte als Frauen. Frauen lesen deutlich mehr Bücher als Männer, auch wenn da die Schere noch verhältnismässig gering ausfällt.( 54 % der Frauen „Leseratten“, bei den Männern sind es 38 %.)
Hallo Gerhard, ich habe auch den Eindruck, dass etliche Frauen zwar in einem Schachclub gemeldet sind, aber nicht aktiv am Turnierbetrieb teilnehmen! Insofern sind sie weniger sichtbar, das ist ein zusätzliches Problem!