August 22, 2025

10 thoughts on “Wie erklärt sich der unterschiedliche Zugang von Frauen und Männern zum Schach?

  1. B1) Erziehung

    „Mädchen lernen schon früh, dass es Geschlechtsunterschiede gibt.“
    Das wirkt sich in Mathematik aus. Zu Anfang der ersten Klasse sind beide gleichauf, dann beginnt die Schere (die sich aber wieder verringert). Grund ist wohl, daß Mädchen unterschwellig (von Lehrkräften/Gesellschaft) signalisiert wird, daß das „nicht ihr Fach ist“.

    Ich befragte Perplexity.ai und es sagte mir, daß es 9000 organisierte Schachspielerinnen gibt und 85.000 männliche Schachspieler. Das überraschte mich: Denn sichtbar sind diese 10% an Frauen m.E. nicht. Ich ging von vielleicht 2% an Frauen aus.
    Mein Gefühl ist, daß es gesellschaftliche Gründe gibt, daß Frauen nicht beim Schach bleiben, inaktiv werden. Stärker als im Beispiel Mathematik, das ich vorher nannte.

    Als Mann würde mich wurmen, daß ich im Sprachlichen schlechtere Anfangschancen hatte als Frauen. Frauen lesen deutlich mehr Bücher als Männer, auch wenn da die Schere noch verhältnismässig gering ausfällt.( 54 % der Frauen „Leseratten“, bei den Männern sind es 38 %.)

    1. Hallo Gerhard, ich habe auch den Eindruck, dass etliche Frauen zwar in einem Schachclub gemeldet sind, aber nicht aktiv am Turnierbetrieb teilnehmen! Insofern sind sie weniger sichtbar, das ist ein zusätzliches Problem!

    2. Der Unterschied zwischen Mathematik und Schach ist, dass Schach das Element des Kampfes beinhaltet. Das zeigt sich schon in der DEM u8 und u8w, wo das Gender Gap klar zutage tritt. Während wir bei den Jungs viel Angriffsschach finden, sehen wir bei den Girls Klötzenschieberei. Auch die Rate von Einstellern ist bei den Girls sehr viel höher, z.T. anfängerhaft. Es fehlt oft elementares Spielverständnis. Der Unterschied in der Spielweise setzt sich in den höheren Jahrgängen fort bis in die u18w. Anders als bei Mathematik schließt sich die Schere nicht, sondern der Abstand wird sogar so groß, dass viele der u18 Boys die gesamte u18w simultan schlagen könnten.
      Bei 7- oder 8-jährigen kann dies nicht durch gesellschaftlichen Einfluss erklärt werden, sondern entspricht der zugrundeliegenden Einstellung. Jungs sind aggressiver und das prägt auch ihren Spielstil und dadurch nehmen sie auch das Training ernster.

    3. Ich weiß nicht, woher Perplexity diese Zahlen hat, Perplexity weiß es vielleicht selbst auch nicht. Datenaffin wie ich bin habe ich mir mal unter https://www.schachbund.de/download-dwz-daten.html die komplette DWZ-Liste heruntergeladen und mit den Daten herumgespielt. Vielleicht wird daraus noch ein eigener Artikel, das schaffe ich dann erst am Wochenende. Aber ein paar erste Ergebnisse:

      „Zunächst“ sind es dann 87145 Männer und 9737 Frauen, recht nahe an den Zahlen von Perplexity. Dann habe ich zwei Filter angewendet:
      1) nur Status A (aktives Mitglied eines Vereins) und nicht P (passiv). Damit „verschwinden“ zwar einige, die aktuell nur passive Mitglieder sind, vor allem verschwinden aber wohl diverse Duplikate bis Multiplikate – z.B. sind Elisabeth Pähtz, Dinara Wagner und auch Dennis Wagner aktuell Mitglied in jeweils drei Vereinen und derlei Fälle gibt es im gesamten DWZ-Spektrum.
      2) vielleicht kontrovers: nur FIDE-Land GER. Idee dahinter: so verschwinden alle, die generell nur zu Mannschaftskämpfen aus dem Ausland anreisen, vor allem im ober[st]en DWZ-Bereich angesiedelt sind und ansonsten eher nicht Teil der deutschen Schachszene sind. Allerdings verschwinden so auch Spieler(innen) mit Migrationshintergrund und weiterhin ausländischer „Schachbürgerschaft“ – Fälle wie die Engländerin Ingrid Lauterbach gibt es auch (dabei wohl vergleichsweise selten).

      Wenn man dann noch DWZ-lose außen vor lässt (viele davon mit ersten DWZ-Auswertungen und damit „Restpartien“, teils lange zurückliegend) bleiben 48763 Männer und 3376 Frauen. Das sagt noch nichts direkt darüber aus, wie oft sie spielen – ob nur Mannschaftskämpfe oder auch Turniere (Schnell- und Blitzturniere bleiben außen vor). Wer als Frau oder Mann nur vereinsintern oder nur mit verkürzter Bedenkzeit spielt ist „weniger sichtbar“.

      Ansonsten als eventuell sneak preview:
      1) DWZ-Unterschiede betreffen tatsächlich das gesamte Spektrum: durchschnittliche DWZ 1589±323 (Männer) und 1341±358 (Frauen) – das habe ich auch noch visualisiert, aber das kommt ggf. später.
      2) In dieser DWZ-Liste bekommt man auch das, was bei DWZ-Abfragen sonst aus Datenschutzgründen durch **** ersetzt ist – das Geburtsjahr. Diese Daten sind ja auch die Basis für WinSwiss-Hintergrunddateien und Turnierleiter dürfen/müssen wissen, wer für Jugend- oder Seniorenpreise in Frage kommt.
      Schachspielende Frauen (Geburtsjahr insgesamt 1991±20) sind im Schnitt deutlich jünger als schachspielende Männer (1976±21). Woran das liegt und wie es andere Statistiken beeinflusst, darüber kann man diskutieren und spekulieren.

  2. Vor knapp drei Monaten ist im Spiegel ein Interview mit Judit Polgar zu diesem Thema erschienen (leider hinter einer Paywall, aber wer trotzdem nachlesen möchte: https://www.spiegel.de/sport/judit-polgar-ueber-frauen-im-schach-alle-haben-zu-niedrige-ansprueche-a-fdcec5be-eb46-4f5a-bfda-407dc82d3775
    Eine Kurzzusammenfassung gibt es im Forum der Perlen vom Bodensee: https://perlenvombodensee.de/forum/topic/judit-polgar/#postid-2907 )
    Polgars Erklärung für den Spielstärkeunterschied zwischen Frauen und Männern ist jedenfalls (nicht zuletzt angesichts ihrer eigenen Karriere) sehr überzeugend: Aufgrund der ganz erheblichen Privilegien, die Schachspielerinnen gegenüber ihren männlichen Kollegen genießen (geringe Titelanforderungen, höhere Preisgelder), fehlt den Frauen der Anreiz, das absolute Spitzenniveau zu erreichen. (Konsequenterweise schlägt Judit Polgar daher die Abschaffung von Frauentiteln und stattdessen ein geschlechtsunabhängiges Titelsystem vor.)

  3. Zu einem Punkt würde ich Gerald Hertneck widersprechen oder ihn jedenfalls relativieren:
    „Preisgelder für Frauen sind oft niedriger als die für Männer“ stimmt schon deshalb nicht, weil es Preisgelder (nur) für Männer gar nicht gibt – nur Frauenpreise und „offene“ Preise. Frauen haben zusätzliche Einnahmequellen – das gilt ebenso für Ligen in denen z.T. auch Geld fließt: Frauenligen sind zusätzlich, einige Länder haben auch Frauen-Pflichtbretter in offenen Ligen.

    Das kann also nicht Ursache von Elo-Unterschieden sein, allenfalls Folge (Frauen sollen auch auf „ihrem Niveau“ Einnahmen haben) und Unterschiede eventuell (siehe von Holger erwähntes Polgar-Interview) „zementieren“. Männer mit Elo 2400-2500 und noch etwas darüber hinaus können eine Profikarriere (jedenfalls als Spieler) „vergessen“ bzw. müssen dafür noch besser werden. Wer hat eigentlich mehr Einnahmen vom Schach, Dinara Wagner oder Dennis Wagner, Josefine Safarli oder Eltaj Safarli?

    Unterschiedlichen „Zugang“ zum Schach kann es wohl ohnehin nicht erklären: Wer beginnt denn mit Schach und wird dann Mitglied in einem Verein mit der Idee oder dem Traum, Profi zu werden? Das mag im Fußball vorkommen – Kinder oder jedenfalls Eltern wissen da auch eher, dass man damit (viel) Geld verdienen kann. Nur wenige schaffen das dann …. und da „lohnt sich“ Frauenfußball tatsächlich nicht, trotz aktueller Medienresonanz.

    1. Hast du noch nie ein Turnier mitgespielt, in dem es zwei oder drei Frauenpreise gab, also sagen wir 200 Euro für die beste Frau, und 100 für die zweitbeste? So war das in den 80ern und 90ern. Richtig ist, dass sich hier die Situation erheblich verbessert hat, da es eigene Frauenturniere mit höheren Preisgeldern gibt. Und ja, als Frau mit Elo 2400 kann man ganz gut Geld verdienen, nur haben ganz wenig Frauen eine solche Zahl!

    2. Um mal ein wenig Licht ins Dunkle zu bringen: Ich bin natürlich nicht in der Region 2400-2500, aber ich glaube meine Einnahmen vom Schach werden häufig überschätzt. Natürlich verdiene ich mehr als ein Mann mit meiner Elo, aber vom Spielen kann ich im Traum nicht Leben, ohne dass jemand meine Lebenshaltungskosten übernimmt. Eltaj verdient natürlich deutlich mehr Geld mit dem Spielen(und hat auch höhere Stundensätze beim Training) und mein Tipp ist, dass das erst ab 2450 kippen würde. Aber er hat auch über 2600, mit 100 Punkten weniger könnte das aussehen.

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