
Interview mit Ralf Schreiber – 20 Jahre Schach für Kids e.V.
1. Hallo Ralf Schreiber, bitte stelle dich kurz vor!
Ich wurde mit fünf Jahren von meinem Vater ans Schachspiel herangeführt – und das hat mich nie wieder losgelassen. Seit 58 Jahren bin ich ununterbrochen in schachlichen Ehrenämtern tätig, habe sechs Berufe erlernt und bin seit über 35 Jahren in leitenden Positionen aktiv.
Als Breitensportreferent des Deutschen Schachbundes durfte ich viele große Projekte initiieren – war zwölf Jahre im Organisationsteam der Deutschen Schach-Amateurmeisterschaft (DSAM) tätig und habe bei der Schacholympiade in Dresden den Deutschland-Cup mit 900 Teilnehmerinnen und Teilnehmern geleitet – und vieles mehr.
2005 habe ich dann die pädagogische Initiative Schach für Kids e.V. gegründet – ursprünglich, weil meine Tochter Sarah mit zweieinhalb Jahren unbedingt Schach lernen wollte. Das war der Anfang einer besonderen Reise.
2. Was macht Schach für Kids e.V., wie war die Entwicklung in den letzten 20 Jahren?
Schach für Kids e.V. ist eine pädagogische Initiative, die das Schachspiel als Hilfsmittel zur ganzheitlichen Entwicklungsförderung nutzt – also nicht, um Kinder zu Schachprofis zu machen, sondern um Denken, Konzentration, Sprache, Motorik und soziales Verhalten zu stärken.
Was mit meiner Tochter begann, ist heute bundesweit in Kitas und Grundschulen etabliert. Alles startete mit einem Großversuch mit über 3.000 Kindern und einer wissenschaftlichen Studie mit mehr als 500 Kita-Kindern.
Aus diesen Erkenntnissen entstand eine spezielle Lehrmethode für Kinder ab drei Jahren, die in Tagesseminaren, an Europaschulen und an der Fachhochschule NRW gelehrt wird.
Inzwischen wurden über 4.000 pädagogische Fachkräfte geschult – und die Umsetzung reicht längst über die deutschen Grenzen hinaus. Beim letzten Seminar nahmen sogar Fachkräfte aus Spanien teil.
Unsere speziell entwickelten Materialien werden heute in Kindergärten, Horten und Grundschulen eingesetzt.
3. Warum sollen Kindergartenkinder Schach spielen?
Weil Kinder im Vorschulalter spielerisch lernen – und genau das nutzt unser Ansatz. Schach vermittelt auf natürliche Weise logisches Denken, Planungsfähigkeit, Sprache und Regelbewusstsein.
Dabei geht es nicht um Sieg oder Niederlage, sondern um Selbstwirksamkeit: Kinder erleben, dass sie mitdenken, vorausplanen und Verantwortung übernehmen können. Und das alles mit Figuren, Farben und Geschichten – so, dass Lernen Spaß macht.
Leider werden die Fähigkeiten unserer Kleinsten oft unterschätzt. Ja, sie können beim und durch das Schachspiel vorausschauendes Denkhandeln entwickeln.
Ein Beispiel: Fünfjährige Kinder, die Schachfiguren durch Matchbox-Autos ersetzen – und damit tatsächlich Schach spielen! Wenn wir solche Fähigkeiten nicht frühzeitig erkennen und fördern, gehen sie verloren.
4. Deine App „Chipschach“ wurde für einen sehr wertvollen Deutschen Kindersoftwarepreis nominiert? Wie funktioniert das Spiel, wie kam es zur Nominierung?
Ja, unsere Chipschach-App wurde für den Deutschen Kindersoftwarepreis nominiert – eine große Anerkennung!
Die App basiert auf unserem pädagogischen Lehrsystem:
Chipschach ermöglicht es bereits Kindern ab dem dritten Lebensjahr, das Schachspiel zu erlernen – und dabei spielerisch ihre Entwicklung zu fördern.
Dieses System wurde vor vielen Jahren von IBM als Sponsoring-Projekt digitalisiert. Dadurch kam ich damals auch in eine Arbeitsgruppe der Stiftung Haus der kleinen Forscher, die die kindgerechte Digitalisierung in Kitas und Grundschulen voranbringen wollte.
Der nächste Schritt war dann, das System als App umzusetzen – übrigens programmiert von einem Entwickler, der selbst aus einer unserer SfK-Kitas stammt.
Die App enthält zahlreiche Übungen im Bereich Chip- und Minischach und wurde bereits über 60.000-mal heruntergeladen. Kinder können sogar eigene Übungen erstellen und uns zur Veröffentlichung zusenden.
Auch für Eltern und Schachvereine ist die App eine wertvolle Unterstützung.
Die Preisverleihung wird von Medien wie KiKA, ZDF, Deutschlandfunk und Medion begleitet. Der Preis zeigt, dass Bildung und Spielen zusammengehören – genau das ist unser Ansatz.
5. Was wäre deiner Meinung nach wichtig, um das Deutsche Schach auf Vordermann zu bringen?
Wir müssen viel früher anfangen. Schach darf nicht erst in Vereinen oder Leistungskadern beginnen, sondern in Kindergärten und Grundschulen – als Teil der frühen Bildung.
Wenn Kinder dort die Faszination am Denken und Entdecken erleben, entstehen automatisch Talente, die später den Leistungssport tragen.
Schon während meiner Amtszeit im Deutschen Schachbund habe ich mir gewünscht, dass in den Vereinen eine Funktion für den Breitensport eingeführt wird. Dieser Bereich wird viel zu sehr unterschätzt.
Der Verband kann nicht alles regeln, aber er kann Impulse geben und fördern. Man stelle sich vor, diese Funktion würde ähnlich aktiv ausgebildet und unterstützt wie der Schiedsrichterbereich – das würde das Fundament des deutschen Schachs enorm stärken.
6. Was sind deine Träume für Schach für Kids e.V.?
Dass Schach für Kids so innovativ bleibt wie bisher, immer Neues auf den Weg bringt und weiterhin viele Kindergärten und Grundschulen erreicht.
SfK ist in der Bildungslandschaft in Deutschland inzwischen hoch anerkannt. Vielleicht erkennen eines Tages auch die Schachverbände, wie wertvoll diese Initiative ist.
Und ich wünsche mir, dass unsere SfK-Lehrmethode, unsere Materialien und die Chipschach-App weiterhin vielen Kindern die Tür zu einer Welt öffnen, in der Nachdenken Spaß macht.
Infos zu Schach für Kids e.V.: www.schach-fuer-kids.de