
Titelfoto @ Jurriaan Hoefsmit / Tata Steel Chess
Das war schon „ewig“ geplant – anfangs eventuell noch für den Schach-Ticker (derzeit noch online, bis Anfang Februar wurden da noch Beiträge veröffentlicht), dann für den Schachkicker. Nun doch noch und es wird quasi auch ein Experiment: Was weiß ich noch von diesem Turnier? Dieses Traditionsturnier ist traditionell der erste Höhepunkt des Schachjahres. Für mich persönlich war es jahrelang DER Höhepunkt, da ich 2014-2018 als Reporter vor Ort war. Das hatte ich auch Franz Jittenmeier zu verdanken, vor allem aber der Tatsache dass ich damals in den Niederlanden wohnte. Das Konzept für den Artikel stand bereits seit einiger Zeit, wobei ich nun mein Gedächtnis doch etwas auffrischen muss.
Was wissen Leserinnen und Leser noch? Wenn die Antwort „wenig bis nichts“ lauten sollte, können sie ihr Gedächtnis nun auffrischen. Statt dem bei mir sonst üblichen „wie geht es weiter?“ kommt nun auch hier und da „wie ging es weiter?“ – für einige Spieler, auch für einen der in Wijk aan Zee fehlte. Eines bleibt gleich: ich betrachte das Turnier vor allem durch die international- globale und nur ein bisschen auch durch die deutsche Brille. Eines ist bei mir neu – das kommt gleich, ein Absatz und noch ein Satz zwischendrin.
Zum Turnier
Zu Tata Steel Chess brauche ich ein Titelbild und nehme das Ende des abschließenden Blitz-Stichkampfs zwischen Praggnanandhaa und Gukesh. Dabei habe ich etwas gemischte Gefühle, für mich war das Abschluss aber sicher nicht Höhepunkt des Turniers. Das bringt mich direkt zu einleitenden Thesen oder Statements – angelehnt an das „x conclusions“ Format, das Colin McGourty für chess24 „erfunden“ hatte und das nun von ihm und anderen auf chess.com auftaucht. Seine Version zu Tata Steel ist hier, meine ist teils ähnlich und teils anders – seine kannte ich zwar aber ich schreibe nicht ab. Von Thomas Richter zunächst eher kurz und knapp, später wird es dann näher erläutert, und vom Allgemeinen zum Individuelleren:
Sechs Thesen
1) Normalschach mit klassischer Bedenkzeit ist quicklebendig,
auch wenn ein paar Weltklassespieler darauf keine Lust mehr haben. In Wijk aan Zee bezieht es sich nicht nur auf die Titelträger(innen) auf der Bühne, sondern auch auf insgesamt wohl über tausend Amateure am selben Ort (untere Gruppen auch anderswo in Wijk aan Zee). [Das findet man nicht auf chess.com.].
Das mal doch direkt konkretisiert: über Ostern in Karlsruhe entschieden sich insgesamt etwa 85% aller Teilnehmenden für Normalschach (auch wenn einige später zu Freestyle wechselten). Nur starke Großmeister bevorzugten tendenziell Freestyle Chess – mehr Preisgeld und Qualifikation für New York Las Vegas möglich. In Biel gibt es nun neben Chess960 als Pflicht-Vorspeise für Triathlon-Teilnehmer (klassisch, Schnell- und Blitzschach) auch ein Free Style Schachturnier (so geschrieben nicht urheberrechtlich geschützt?) für alle. Das Preisgeld ist eher bescheiden, abwarten wer da mitspielt (das parallele Meisterturnier höher dotiert).
2) Fans von Schnellschach mussten sich etwas gedulden und kamen dann doch auch auf ihre Kosten:
Es gab erstaunlich viele Zeitnotduelle in denen es teilweise drunter und drüber ging. Irgendwann in Endspielen ist es unvermeidlich, aber es passierte regelmäßig auch vor der Zeitkontrolle im 40. Zug.
3) Ein Blitz-Stichkampf ist im Masters (aus meiner Sicht) allenfalls ein notwendiges Übel, bei den Challengers wäre es dagegen das kleinere Übel gewesen.
4) Abdusattorov wird Tata Steel niemals gewinnen, oder vielleicht irgendwann doch
Auch Giri brauchte mehrere Anläufe. Vielleicht kann der Lokalmatador diese These bestätigen, und teilt auch meine These 3) Teil eins.
5) Es gibt den 2800-Fluch
6) 50% oder mehr für Frauen hat in Wijk aan Zee weiterhin Seltenheitswert.
Gemeint ist hier „auf der Bühne“, in den vielen Amateurgruppen ist es sicher auch mal der Fall. Da werden Frauen aber auch nach ihrer Elo eingeteilt, nicht 100-200 Punkte darüber. Es sei denn, sie haben sich im Jahr zuvor, eventuell auch mehrfach nacheinander, für höhere Gruppen qualifiziert.
Ein kompletter Rückblick auf beide Turniere (Masters und Challengers) ist schwierig bis unmöglich, daher nur – jedenfalls für meine Verhältnisse – kurz und knapp:
Was vorher geschah:
Ein niederländischer Schachfreund schickte mir einen Zeitungsartikel zu Sparmaßnahmen im Turnier: Turnierdirektor Jeroen van den Berg wurde „gebeten“ (nach eigener Aussage nicht beauftragt oder gezwungen), beim Budget 15-20% einzusparen. Hintergrund ist die aktuelle finanzielle Situation von Tata Steel. So ist es eben: Privatsponsoren (z.B. Jan Henric Büttner, Wadim Rosenstein oder auch Rex Sinquefield) können „unbegrenzt“ Geld ausgeben, Firmen müssen auch mal sparen? Das erfuhr er im Oktober 2024, konkret bedeutete es: keine weiteren top10 Spieler neben denen, die bereits unter Vertrag standen (genannt wurden außerdem Firouzja, Nepomniachtchi und Aronian – aktuell nicht ganz top10 aber aufgrund seiner Vergangenheit auch „teuer“?), stattdessen Fedoseev und Sarana – die ihre Einladungen beide rechtfertigten.
Kurz vor dem Turnier sagte dann Vidit ab, Grund wurde nicht genannt. Tatsächlicher Grund vielleicht: parallel zum letzten Wochenende in Wijk aan Zee auch Bundesliga und Düsseldorf brauchte ihn, sonst hätte Wadim Rosenstein womöglich selbst spielen müssen? Das tat er (das erste „wie ging es weiter?“) später gegen ein Team aus der unteren Tabellenhälfte, gegen Baden-Baden und Deizisau wäre es riskant gewesen. Ersetzt wurde er (Vidit, nicht Rosenstein) durch Harikrishna. „Inder für Inder“ war vielleicht weniger relevant als kurzfristig verfügbar und, da er in Prag wohnt, unproblematische Anreise. So war Erwin l’Ami (*1985) nicht mehr der bei weitem älteste Spieler auf der Bühne, Harikrishna ist Baujahr 1986. Die Generation 1990 (Carlsen, Nepomniachtchi, der aktuell elomäßig etwas abgestürzte Vachier-Lagrave, weitere eventuell für die Challenger-Gruppe) fehlte komplett, so war Caruana (*1992) der anfangs zweit- und nun drittälteste Spieler.
Gukesh erschien pünktlich zur ersten Runde, knapp war es da er unterwegs noch eine Ehrung in Indien entgegen nehmen musste. Wie er selbst sagte: Klimawechsel von Chennai zu Wijk aan Zee immerhin bereits beim Zwischenstopp in Delhi (da war es auch kalt).
Nun zunächst zu den Masters:
Endstand; Praggnanandhaa 8.5/13+2/3, Gukesh 8.5/13+1/3, Abdusattorov 8/13, Fedoseev 7.5, Wei Yi und Giri 7, Harikrishna 6.5, Caruana und Keymer 6, Erigaisi, van Foreest, Sarana 5.5, Mendonca 5, Warmerdam 4.5.
Vorab hätte Vincent Keymer vielleicht gesagt „punktgleich mit Caruana, einverstanden!“ – nach dem Turnier war wohl auch er mit seinem Ergebnis nicht ganz zufrieden. „Sarana hat seine Einladung gerechtfertigt“ sage ich „trotzdem“ – relativ weit unten landete er erst durch drei Niederlagen in Runde 10-12 (große Rochade). Keymer und Erigaisi hatten zum Turnierende noch Erfolgserlebnisse. Der Tabellenletzte Max Warmerdam schaffte etwas, das er bei einer direkten Neuauflage des Turniers (mit zwischenzeitlicher Elo-Auswertung) nicht wiederholen könnte: zwei Siege gegen 2800+. Zuvor zwar in der Bundesliga Niederlage gegen Magnus Carlsen, aber mehr als 50% anno 2025 gegen diesen recht kleinen Kreis behält er: Warmerdam-Nakamura war in der zentralen Bundesliga-Endrunde denkbar aber fand dann nicht statt.
Die erste Runde
Runde 1 war – im Nachhinein – bereits ein Hinweis wohin die Reise für einige Spieler gehen würde. Zu Gukesh-Giri 0-1 1-0 nur soviel: in beiderseitiger Zeitnot hatte der Schwarzspieler die Wahl zwischen Matt für den Gegner (oder jedenfalls klarem Materialgewinn) und für ihn verlorenem Endspiel – zwei von drei Zügen der Mattkombination fand er, den dritten nicht. Absicht kann man ihm nicht unterstellen: nach eigener Aussage hinterher hatte er keine Ahnung, wie die Stellung denn zu beurteilen war. Nach der Zeitkontrolle fügte er sich in sein Schicksal.
Auch ansonsten durch die schwarze Brille betrachtet: Bei Praggnanandhaa-Abdusattorov 1/2 bekam der Schwarzspieler nur einen halben Punkt weniger als der Partieverlauf zuvor vielleicht suggeriert hatte. Bei Mendonca-Keymer 0-1 war es dafür ein Punkt mehr – Vincent Keymer dann im weiteren Turnierverlauf nicht so erfolgreich. Neben zwei korrekten und einem etwas inkorrekten Remis bleibt noch Harikrishna-Erigaisi 1-0: früh konnte Schwarz quasi zum Remis abwickeln, wollte vielleicht mehr und bekam weniger – etwas ungewöhnliche Abwicklung zu Dame (für ihn) gegen zwei Türme, womöglich objektiv noch in der Remisbreite aber später dann nicht mehr.
Alle weiteren Runden
Das bespreche ich nicht im Detail, nur einige Hinweise: Praggnanandhaa war Pragg-matiker und nutzte alle Chancen, die er bekam – anfangs vor allem in Endspielen (Runde 2 und 3 gegen Landsmänner Harikrishna und Erigaisi), am Ende freundliche gegnerische Einladungen zu Springeropfern (Caruana und Erigaisi), dazwischen zwei weitere Siege und eine Niederlage gegen Giri. Bei Gukesh war es etwas turbulenter, auch wenn er länger ungeschlagen blieb. Abdusattorov war auch im Rennen um den Turniersieg, und das trotz weiterer verpasster Chancen: jedenfalls gegen Gukesh (im Endspiel kam 60.h6 ein bis zwei Züge zu spät) und gegen Keymer (wie Giri gegen Gukesh erlaubte er in Angriffsstellung Damentausch, bei ihm war das Endspiel dann remis).
Erigaisi konnte in den letzten beiden Runden noch indirekt in den Kampf um den Turniersieg eingreifen: Sieg erst gegen Abdusattorov und dann gegen Gukesh. Die letzte Runde erinnerte – lange her – an das Londoner Kandidatenturnier in dem zwei Weltmeister (einer zuvor, einer danach) in der letzten Runde verloren, damals hießen diese Herren Vlad Kramnik und Magnus Carlsen. Denn auch Praggnandhaa verlor – gegen Vincent Keymer. Aus gegnerischer Sicht kann man das als geduldig herausgespielten und beeindruckenden positionellen Arbeitssieg bezeichnen und vielleicht nicht erwähnen, dass der komplette Vorteil dann für einige Züge wieder weg war. Auch da hatten beide Spieler seit einiger Zeit fast nur noch die 30 Bonussekunden pro Zug – nach der Zeitkontrolle irgendwann unvermeidlich, Praggs letzter Fehler im 76. Zug.
Der Stichkampf
Carlsen war damals Tiebreak-Sieger, Gukesh wäre es (knapp) auch gewesen. Aber im Tata Steel Masters wurde der Turniersieg früher offiziell geteilt, und dann gab es Stichkämpfe – auch diesmal. Einige Worte zu den drei Blitzpartien ist Chronistenpflicht: erst profitierte Gukesh mit beiderseits noch Sekunden (plus zwei pro Zug) von einem groben gegnerischen Patzer, dann wurde er von Praggnanandhaa überspielt, nun nicht Armageddon sondern „sudden death“ – erster Sieg entscheidet, bei Remis geht es weiter. Zunächst schien Gukesh mit Schwarz auf der Siegerstraße, dann war es „todremis“ – Pragg hat eine Zugwiederholung vorgeschlagen, Gukesh war nicht einverstanden und verlor dann. Auf dem Titelfoto der Moment als er realisierte, was er angerichtet hatte – Pragg ebenso überrascht (aber angenehm). MUSSTE DAS SEIN? Ich meine den Stichkampf an sich, nicht (nur) das absurde Ende. Da kann man geteilter Meinung sein.
Fazit
Aus indischer Sicht vielleicht: Gukesh hatte ja schon Erfolge (Kandidatenturnier und WM-Match), Praggnanandhaa noch nichts vergleichbares – bzw. immer noch nicht, aber immerhin. Das war die halbe Erläuterung zu eingangs These 3), nun mal der Rest – bis auf 6) zum Challenger-Turnier.
4) „Abdusattorov wird Tata Steel Chess niemals gewinnen“
Das bezieht sich nicht nur auf dieses Jahr, auch 2023 und 2024 war er voll im Rennen um den Turniersieg. 2023 bekam Giri dann in der letzten Runde Schützenhilfe von Jorden van Foreest (mit Schwarz gegen Abdusattorov) und gewann selbst „aus dem Nichts heraus“ gegen Richard Rapport – aus einem halben Punkt Rückstand auf den Usbeken wurde ein halber Punkt Vorsprung. Glückszahl 13 für den Lokalmatador? Es war sein 13. Turnier an der Nordseeküste, zuvor mehrere (geteilte) zweite Plätze und zwei Stichkampf-Niederlagen (gegen Favorit Magnus Carlsen und Außenseiter Jorden van Foreest). 2024 hatten dann beide – Giri und Abdusattorov – das Nachsehen im Halbfinale des Vierer-Stichkampfs. Im Finale erwischte es damals auch Gukesh, Überraschungssieger (da zuvor „abgetaucht“) wurde der ehemalige zukünftige Weltmeister Wei Yi.
Nach dieser Logik gewinnt Abdusattorov (unter der Annahme, dass er immer eingeladen wird) Tata Steel Chess 2035. Wie es in Wijk aan Zee zuvor weitergeht erfahren wir ab Januar 2026, ob es mindestens bis 2035 weitergeht ist „unklar“ aber hoffentlich der Fall.
5) „Es gibt den 2800-Fluch“
Das bezieht sich natürlich auf Erigaisi, ein bisschen auch auf („historisch“ und aktuell) Caruana. Es gibt da zwei Herausforderungen: erst diese Zahl zu knacken, dann 2800+ zu verteidigen – beides nicht selbstverständlich. Caruana hatte auch letzteres zuvor auch über längere Zeiträume geschafft, nun war 2800+ dabei wieder nur für einen kurzen Zeitraum (11/2024 bis, da Tata Steel Chess erst für die Märzliste ausgewertet wurde, 2/2025). Vielleicht brachte er auch etwas durcheinander: Er ist ja bereits für das nächste Kandidatenturnier qualifiziert, Wijk aan Zee ist dabei oft die Generalprobe und die muss schief gehen. Das gilt dabei aber nun erst für Tata Steel Chess 2026.
Caruanas Landsmann Hikaru Nakamura hatte seine eigene Methode, 2800+ zu verteidigen bzw. nicht: nachdem er es bei Norway Chess 2024 schaffte (erstmals seit 2015) hat er mit klassischer Bedenkzeit und Elo-Auswertung gar nicht mehr gespielt. Wie ging es für ihn weiter? Im März akzeptierte er eine Einladung von Rex $inquefield für den American Cup: vorübergehend war 2800+ dann live futsch, durch zwei Siege gegen Dominguez und Caruana hat er nun doch wieder (sogar) 2804. Einen Auftritt in der deutschen Bundesliga riskierte er dann nicht, wobei neben Nakamura (für Viernheim) auch Caruana (für Baden-Baden) und Gukesh (für Düsseldorf) diese Saison „Papiertiger“ waren.
„Wie ging es weiter?“
Wie ging es für Vincent Keymer weiter? Bekanntlich ein Erfolg beim Freestyle Chess im Weissenhaus – dafür kann er sich zwar etwas kaufen, was es wurde oder wird ist mir nicht bekannt, Sportwagen oder Luxusurlaub oder? Für Wohnung oder Haus reicht es wohl nicht ganz, und ob er nach „nur“ Platz 4 in Paris und dann Platz 13 in Karlsruhe weitere Buettner-Turniere spielen kann ist unklar. Was es nicht einbringt: Elopunkte für die gängige Wertung oder Punkte für den FIDE Circuit. Letzteres schaffte er dann in Prag auch nicht, da hat aktuell (nicht nur aufgrund etwas besserem Ergebnis in Prag) Praggnanandhaa die Nase vorn. Beim German Masters kann Keymer zwar punkten, aber seine besten Chancen um sich für das Kandidatenturnier zu qzalifizieren sind nun wohl Weltcup oder Grand Swiss.
Zum Challenger-Turnier:
Endstand: Nguyen Thai Dai Van 9.5(55.75), Suleymanli 9.5(55.00), l’Ami 8.5, Yakubboev und Bok 8, Gurel, Frederik Svane, Nogerbek 7.5, Vaishali 6, Lu Miaoyi und Pijpers 5.5, Divya Deshmukh und Faustino Oro 3.5, Bulmaga 1.
Hier erwähne ich für Platz 1-2 die (sonst irrelevante) Sonneborn-Berger Wertung – entscheidend betrifft Qualifikation für Tata Steel Masters 2026. Warum da der Tscheche mit vietnamesischen Wurzeln knapp die Nase vorn hat – ich habe es recherchiert und verstanden, aber zu kompliziert um es zu erklären und man kann es eher nicht bzw. nicht unbedingt als „verdient“ bezeichnen. Und da gibt es keinen Stichkampf. Generell war es ein Dreikampf um den Turniersieg, Dritter im Bunde good ol‘ Erwin l’Ami. Vor der letzten Runde waren diese drei punktgleich, und dann das: Erwin l’Ami verlor gegen Vaishali (Remischancen hatte er am Ende nochmals, aber das wäre auch zu wenig gewesen). Nguyen bekam plötzlich Oberwasser gegen Benjamin Bok, dito für Suleymanli gegen Irina Bulmaga – aber das aus der Kategorie „plötzlich und erwartet“!?
Quasi Zweiteilung des Endstands (mit dann nochmals größeren Lücken in der unteren Häflte) passt auch zu den Elozahlen: sechs Spieler mit 2600+, sechs Spieler(innen) mit <2500 und nur Bok und Nogerbek zwischendrin. In der unteren Elohälfte hatte sich IM Arthur Pijpers seinen Platz durch Sieg in der höchsten Amateurgruppe verdient, die anderen wurden eingeladen da „weiblich“ bzw. (Faustino Oro) „sehr junges Talent mit Lobby“.
Die obere Hälfte
Bleiben wir erst in der oberen Hälfte: Frederik Svane und auch Yakubboev machten die Erfahrung, dass man als Elo-Mitfavorit nicht immer in den Kampf um den Turniersieg eingreifen kann – im (ab Deutschland und Usbekistan betrachtet) Westen nichts Neues. Frederik Svane schaffte es in der entscheidenden Phase immerhin indirekt: Sieg in Runde 11 gegen Nguyen, Niederlage in Runde 12 gegen Suleymanli. In Runde 11 hatte Nguyen falsch eingeschätzt, dass mit Turm und Springer gegen Turm und Läufer mit beiderseits Bauern keinesfalls die Leichtfiguren abtauschen durfte – danach hatte Frederik Svane den gefährlicheren Freibauern und vor allem quasi eine Mehrfigur (aktiver König im Endspiel). Das war kurz nach der Zeitkontrolle mit reichlich Bedenkzeit (16 Minuten für 42.-Sxe3??).
Suleymanli hatte Frederik Svane aus engine-ausgeglichener Stellung heraus (weißer Mehrbauer irrelevant?) überspielt, dann mit noch beiderseits 3 Minuten ein kurioser Moment beiderseitiger Schachblindheit – Idee von 58.Ld4?? war natürlich 58.-DxTd3 59.Dxh6+ (g-Bauer gefesselt) 59.-Kg8?? 60.Dxg7#, aber 59.-Dh7 verhindert das Matt und behält den Mehrturm. 58.-Kh7 war nach gut 2 Minuten der zweitbeste Zug, später ein für Schwarz verlorenes Turmendspiel. Zuvor für Frederik Svane eine „vermeidbare“ Niederlage gegen die Chinesin Lu Miaoyi und ansonsten etwas zu viele Remisen.
Die untere Hälfte
Dass die sub-2500 Spieler(innen) alle weniger als 50% erzielten war eigentlich keine Überraschung, bei so vielen Frauen im Turnier war 50% oder mehr für eine denkbar und schien zwischenzeitlich auch realistisch, aber es werden eben 13 Runden gespielt.
Wie ging es für einige der genannten Personen weiter? Nguyen wurde später zu Hause in Prag Letzter. Das war keine Schande, aber anno 2024 konnte er im selben Turnier mit allen mithalten – außer mit Abdusattorov der überlegen gewann: er kann also durchaus Turniere gewinnen. Frederik Svane bekam die in Wijk aan Zee verlorenen 11 Elopunkte bei der Europameisterschaft mit etwas Zinsen zurück (+14) – wichtiger vielleicht: Preisgeld, Silbermedaille und Qualifikation für den Weltcup. Er ist wieder Richtung 2700 unterwegs? Irina Bulmaga hat ihr historisch schlechtes Ergebnis (1/13 ist wohl Negativrekord in der Challenger-Gruppe) womöglich bereits vergessen, auch für sie Silber bei einer EM (natürlich nicht dieselbe).
Ganz kurz zum Toptienkamp der Amateure:
Sieger wurde ein gewisser FM Panesar Vedant – war mir gar kein Begriff, aber mit Elo 2446 war er an zwei gesetzt hinter IM Nico Zwirs, der ein ganz schlechtes Turnier erwischte und Letzter wurde. Warum Panesar Vedant noch kein IM ist, da bin ich überfragt: laut https://ratings.fide.com/titles_page.phtml (Norms und Select country India) ist dies nun seine neunte IM-Norm, und Elo 2400+ hat er auch schon einige Zeit. Jedenfalls auch nächstes Jahr ein Inder auf der Bühne in Wijk aan Zee, sicher nicht der einzige.