
Warum brauchen wir wissenschaftliche Studien? Damit wir beweisen können, dass Schach sich positiv auf dies und jenes auswirkt oder nicht. Professorin Sabine Vollstädt-Klein nutzt u.a. Schach bei Süchten. Danke für die tollen Erkenntnisse!
1) Bitte stellen sie sich vor!
Ich arbeite als Mathematikerin und Neurowissenschaftlerin am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim. Mein Forschungsschwerpunkt sind Abhängigkeitserkrankungen und die zugrundeliegenden neurobiologischen Mechanismen. Ich beschäftige mich u.a. damit, wie man schachbasiertes Kognitionstraining bei Abhängigkeitserkrankungen einsetzen kann, um den Therapieerfolg zu verbessern, und interessiere mich für die beteiligten Prozesse auf neuronaler Ebene. Früher habe ich auch aktiver Schach gespielt als jetzt (ELO > 1900 und vor 20 Jahren 1. Frauenbundesliga).
2) Was macht eigentlich die Internationale Gesellschaft für angewandtes Schach?
Wir sind ein internationales Netzwerk von Menschen, die Schach in verschiedenen biopsychosozialen Bereichen anwenden, also beispielsweise therapeutisch, in der Schule, in der Forschung, in sozialen Bereichen wie in der Arbeit mit Straffälligen oder Flüchtlingen. Schach ist dabei einfach Werkzeug und universelle Sprache. Unsere Gesellschaft vernetzt und hat auch schon zwei Konferenzen zu den o. g. Themen abgehalten. Wir tauschen uns aus, u.a. um gemeinsame Standards zu setzen.
3) Schach hilft gegen Süchte. Bitter erklären sie ihre Forschungsergebnisse. Wie kann man dies nutzen?
Ich habe in meinen Studien zu Abhängigkeitserkrankungen, die wir gerade publizieren, gefunden, dass schachbasiertes kognitives Training bei Rauchern und Alkoholabhängigen sehr positiv angenommen wurde und außerdem den Therapieerfolg verstärkte hat. D.h. Raucher haben beispielsweise weniger geraucht, und auch Alkoholabhängige sind weniger oder später rückfällig geworden. Außerdem sehen wir Verbesserungen in einigen kognitiven Funktionen und Veränderungen im Gehirn, die auch auf einen positiven Einfluss des Trainings hindeuten. Auch sehen wir interessanterweise eine Zunahme der Lebensqualität in Versuchsgruppen nach einem sechswöchigen Training. Natürlich kann man alleine mit diesem Training nicht abstinent werden, aber es könnte therapiebegleitend eingesetzt werden.
4) Besteht die Aussicht, dass es ausgebildete Schachtrainer.innen gibt, die in der Therapie Schach nutzen oder ist das zu weit weg?
Wir sind gerade dabei, ein Manual zum schachbasierten Kognitionstraining zu veröffentlichen, das dann ein Kursleiter auch ohne tiefgehende Schachkenntnisse anleiten kann.
5) Wie hilft ihrer Meinung nach Schach bei Kindern?
Ich habe – mit Unterstützung der Münchener Schachstiftung und GM Kindermann – eine kleine Pilotstudie bei Kindern und Jugendlichen mit psychiatrischen Erkrankungen durchgeführt, deren Ergebnisse wir ebenfalls gerade publizieren. Die Kinder und Jugendlichen erhielten über sechs Wochen einmal die Woche Schachtraining nach dem Königsplan für Kinder. Das zusätzliche therapiebegleitende Training zeigte eine Verbesserung der Lebenszufriedenheit im Sinne des psychischen Wohlbefindens. Auch gab es Verbesserungen bei einigen kognitiven Aufgaben. Unabhängig von meiner Forschung deutet einiges an Literatur darauf hin, dass Schach die Schulleistung, vor allem in den MINT-Fächern, verbessern könnte und auch auf die Entwicklung sozialer Fähigkeiten positiv einwirkt.
6) Haben sie weitere Forschungsziele mit Schach?
Wir wollen die Wirkmechanismen noch besser verstehen, die Studien in größeren Stichproben durchführen, um belastbarere Ergebnisse zu erzielen. In einer aktuellen Studie untersuchen wir app-gestütztes Training für eine breitere Anwendung.
Noch ein toller Bericht von Matthias Wolf vom Deutschen Schachbund, der die Pressearbeit des Verbandes auf ein ganz anderes Level gehoben hat!