
Aktuell wurde zum Kongress des Deutschen Schachbundes in Paderborn Ende Mai vom Landesverband Württemberg ein Antrag eingereicht, der den verpflichtenden Einsatz einer Frau in der 2. Bundesliga ab der Saison 2027 vorsieht. Hier der Antragstext im Original:
„Ab der Saison 2027/2028 muss in der Aufstellung von diesen acht Personen mindestens eine männliche und mindestens eine weibliche Person nominiert sein, sind diese Personen nicht in der Aufstellung nominiert gilt dies als Nichtantritt der Mannschaft mit den Folgen nach H-2.7.1, sind die Personen nominiert jedoch physisch nicht anwesend so gilt H-2.7.3 entsprechend.“
Zunächst bleibt festzuhalten, dass der Antragsteller Carsten Karthaus eine humoristische Note in dem Antrag untergebracht hat, denn in einem männlich geprägten Umfeld zu fordern, mindestens einen Mann einzusetzen, ist in sich kurios, und zeigt eigentlich bereits auf, dass der Antrag nicht ganz ernst zu nehmen ist, weil er in sich schief ist.
Wie wird der Antrag begründet?
- mit dem niedrigen Frauenanteil von ca. 10% der Mitglieder im Deutschen Schachbund
- Ebenso mit dem großen Leistungsunterschied zwischen Frauen und Männern.
- Wir schaffen dringend nötige Anreize für die Vereine, um Frauen zu fördern und von dieser Frauenförderung dann eben auch konkret in Form eines Wettbewerbsvorteils zu profitieren.
- Wir tragen zur Normalisierung der Teilnahme von Frauen und deren Sichtbarkeit in den höchsten Ligen und Teams bei.
- Es führt zu einer Erhöhung der Repräsentation von Frauen und trägt somit dazu bei, dass die Perspektiven und Interessen von Frauen besser berücksichtigt werden.
- Gleichzeitig werden Frauen zusätzliche Einsätze in den höchsten Ligen verschafft. Dies sorgt für wertvolle Erfahrung in Teams mit vielen starken Spielern und für einen Leistungszuwachs.
- Vielfältigere Mannschaften können dazu beitragen, Geschlechterstereotypen abzubauen und eine Kultur der Inklusion zu fördern.
- Wir gewinnen Vorbilder für junge Frauen, die andere junge Frauen ermutigen, ihre eigenen Ziele zu verfolgen. Die dann auch eine andere öffentliche Wahrnehmung erfahren, was auch in der Breite mehr Wirkung ausstrahlt.
- Mit den positiven Erfahrungen, die in Frankreich mit der Einführung eines Frauenbretts gemacht wurden
- Mit der Vorbild- und Vorreiterrolle des Deutschen Schachbunds
- Zusätzlich wird betont, dass dies zu mindestens zwei Frauen (oder mehr) im Kader führen sollte. Hier sollte auch die Möglichkeit genutzt werden, die Kader um Platz 17 und 18 zu erweitern.
Werden im Antrag Gegenargumente aufgeführt? Nein, weit und breit keine. Das ist traurig, denn wenn man eine neue Regelung einführt, sollte man doch pro und contra gegeneinander abwägen. Oft kommt man nur so zu einer guten Lösung!
Zunächst ist also der angegebene Nutzen näher zu untersuchen, ohne dabei zu sehr in die Tiefe zu gehen.
- Es ist richtig, dass der Frauenanteil im Deutschen Schach viel zu niedrig ist, allerdings ist er das seit Jahrzehnten so, und das trotz der Einführung eines sehr lebendigen Frauenspielbetriebs. Wieso soll ausgerechnet ein Frauenbrett in der 2. Liga zu einer Änderung des Zustands führen? Das ist doch eine bloße Annahme, die durch die Tatsachen gar nicht gestützt wird!
- Gerade der Leistungsunterschied zwischen Männern und Frauen, der sich durch die Elozahlen ausdrückt, ist ja eines der stärksten Argumente gegen die Einführung eines Frauenbretts, da dieses Brett schwächer besetzt sein dürfte und somit nicht ganz in das Mannschaftsgefüge passt; jede Mannschaft möchte doch so stark wie möglich aufstellen!
- Frauenförderung in den Schachvereinen ist eine gute Sache, aber wenn Spielerinnen ohne Vereinsbindung verpflichtet und zum Match eingeflogen werden, dient das wenig der Frauenförderung im Verein.
- Die Sichtbarkeit von Frauen in den höheren Ligen wird bereits durch die Austragung der ersten und zweiten Frauenbundesliga gewährleistet; im übrigen spielen auch jetzt schon einige Frauen in den höheren offenen Ligen (erste und zweite Bundesliga), wie der Antrag selbst ausführt, insofern ist die geforderte Vielfalt im Ansatz bereits vorhanden
- Das Wort „Inklusion“ ist hier völlig schief, da Frauen keine Schachspieler zweiter Klasse sind, sondern bereits jetzt gleichberechtigt am Turnierbetrieb teilnehmen dürfen. Die Wortwahl klingt so, als ob man den Schach spielenden Frauen wegen eines natürlichen Nachteils helfen muss.
- Die Vorbildfunktion von starken Schachspielerinnen ist ganz wichtig, aber das bedeutet nicht, dass sie auch in der zweiten Bundesliga durch ein Pflichtbrett gewährleistet sein muss; starke Frauen dienen bereits jetzt als Vorbilder, egal in welcher Liga sie spielen.
- Der Deutsche Schachbund hat bereits vorbildlich einen mehrstufigen Frauenspielbetrieb etabliert, der weltweit zu den führenden gehören dürfte. Ja der Deutsche Schachbund sollte als gutes Beispiel vorangehen, die Gleichheit von Spielbedingungen zu gewährleisten, und ja der Deutsche Schachbund hat sich auch die Förderung des Frauenschachs auf die Fahne geschrieben, und das ist gut so!
- Ob die Erfahrungen in Frankreich wirklich so positiv war, bleibt dahingestellt, es gibt auch kritische Stimmen dazu. Aber ob das so ist, mögen Andere beurteilen.
Und nun endlich zu den Gegenargumenten.
Wie der Autor des Antrags selbst ausführt, genügt die Verpflichtung einer Spielerin für die Vereine nicht, denn diese kann ja an einem Spieltag verhindert sein, und man will als Mannschaft keine kampflose Null kassieren. Also muss man mindestens zwei oder besser noch drei Spielerinnen im Kader haben. Bereits bei zwei Spielerinnen errechnet sich ein Gesamtbedarf von 12 x 2 x 2 = 48 Spielerinnen für die Vereine.
Nun verhält es sich aber so, dass gerade die starken Spielerinnen ständig gebunden sind, entweder durch Turniere, durch Einsätze in der Frauenbundesliga oder in nationalen Ligen. Mit anderen Worten: viele haben einen vollen Terminkalender. Zwar könnte man als Verein auch weniger starke Frauen einsetzen, aber dann besteht Verlustgefahr, und das will man ja nicht.
Die Zweitligavereine würden also nach Möglichkeit starke Spielerinnen verpflichten, und dafür viel Geld ausgeben. Da die Spielerinnen knapp sind, würden die Honorare steigen, und die (weite) Anreise bzw. der Hin- und Rückflug müssen auch bezahlt werden.
Sowohl in der Verfügbarkeit von starken Spielerinnen als auch in der Finanzierbarkeit des Einsatzes sehe ich persönlich die größten Probleme bei diesem Antrag.
Doch es geht noch weiter. Thema Mitbestimmung. Hat denn jemand die Vereine der Bundesliga gefragt, ob sie dies befürworten? Natürlich nicht! Der Autor ist selbst Mannschaftsführer eines Vereins in der zweiten (jetzt ersten) Bundesliga, dem MSA Zugzwang, und er würde die Regelung nicht befürworten, weil er jetzt schon weiß, dass die Organisation der Bundesligawochenenden dann noch schwieriger wird!
Schließlich muss man sich hier ganz grundsätzlich fragen: wieso Zwang anwenden? Wieso kann man den Vereinen nichts selbst überlassen, Frauen am Brett einzusetzen? Zwangsregelungen wirken erst einmal abschreckend auf die Betroffenen.
Als positives Argument ist dagegen tatsächlich zu würdigen, dass reine Männergesellschaften durch eine Frau aufgelockert werden. Die rein männliche Perspektive (yang) wird durch das weibliche Element (yin) ergänzt.
Fazit: Natürlich kann man die Frage aus sehr unterschiedlichen Perspektiven betrachten und auch zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen kommen, aber in der Gesamtsicht scheint mehr für die Ablehnung des Antrags als für die Zustimmung zum Antrag zu sprechen.
Zum Abschluss noch ein Wort zum Titelbild: es ist KI generiert von Franz Jittenmeier, dem verstorbenen Inhaber des Schachtickers und wird hier als humoristische Note nochmals verwendet. Es entstand aus der Bearbeitung eines Originalbildes von GM Hertneck.
Ich hielte ein Mädchen/Frauenbrett in allen Ligen für einen Quantensprung. Natürlich gibt es die bekannten Totschlagargumente: „Das geht halt nicht“; „Das war noch nie da!“, aber dann und wann muss man die Leute zu ihrem Glück zwingen!
In ein paar Jahren würde man nur den Kopf schütteln, dass das so spät kam!
Einfach mal in Ruhe den Artikel lesen und die Argumente auf sich wirken lassen.
Mein Gott Walter, was soll das Strohmann-Argument „Das war noch nie da“? Zum einem hat Gerald Hertneck so nicht argumentiert, zum anderen ist das absoluter Mumpitz – es gab ja sehr wohl bis Mitte der 1990er Jahre im Jugendschach ein Mädchenbrett, das aus guten Gründen abgeschafft wurde (viele Partien mit großen Spielstärkeunterschieden waren weder für die Siegerin noch für die Verliererin interessant – von kampflosen Partien ganz zu schweigen).
Wenn es den Initiatoren des Antrags wirklich um die Förderung des Frauenschachs geht, warum fordern sie dann nicht, die Einzelmeisterschaften in einem gemeinsamen Turnier von Frauen und Männern durchzuführen, um die erhofften Vorteile (und darüber hinaus bessere Norm-Chancen für starke Spielerinnen) zu erreichen und gleichzeitig die von Gerald Hertneck zu Recht genannten Nachteile zu vermeiden?
Quelle: Dieser Kommentar stammt von Holger Hebbinghaus
Frauenbrett in allen Ligen wäre für Gegenwart und auch absehbare Zukunft absurd. Dann könnten Vereine nur noch maximal so viele (bzw. wenige) Mannschaften melden, wie sie spielwillige Frauen haben – diese von anderen Vereinen abwerben (bei Frauenbrett nur in einer hohen Liga eine Option) wäre ja insgesamt auch keine Lösung, da es alle Vereine betreffen würde. Die Anzahl der Mannschaften im Spielbetrieb wäre wohl deutlich reduziert, viele spielwillige Männer blieben außen vor? In Amateurligen nimmt man dabei kampflose Niederlagen eher in Kauf (passiert aus anderen Gründen auch mal), schön ist es dabei (für beide Teams!) nicht.
Und was würde „zu ihrem Glück zwingen“ aus Sicht der Frauen selbst bedeuten? Man müsste Frauen irgendwie zwingen
– vermehrt überhaupt Schach zu spielen, und zwar im Verein
– dann auch regelmäßig Mannschaftskämpfe zu spielen. Vielleicht wollen sie das allenfalls gelegentlich, ansonsten vereinsintern und eventuell Turniere.
– eventuell auch Mannschaftskämpfe in höheren Ligen über ihrem Niveau zu spielen, nebst damit verbundener Logistik (weite Reisen zu Auswärtsspielen). Nicht alle wollen oder können sich schachlich deutlich verbessern, auch da ist „zu ihrem Glück zwingen“ nur Idee von (männlichen!?) Funktionären …. .
Mein aktueller Verein hat vier Mannschaften – von Bezirksliga (Osthessen wahrlich nicht vergleichbar mit z.B. Bezirksliga München) bis derzeit noch Hessenliga – und drei Spielerinnen. Eine spielt recht viele Turniere und ist auf eigenen Wunsch(!) nur Ersatzspielerin in der ersten und zweiten Mannschaft – selbst wenn sie dem Verein zuliebe Stammspielerin würde wäre sie bei Terminkollisionen mit Turnieren öfters verhindert. Zwei haben Niveau vierte Mannschaft, was natürlich OK ist, und wohl nicht Ambition und/oder Potential für mehr.
Weitere Mädchen könnte man eventuell aus dem Schulschach bekommen – zwei Vereinskollegen machten einen Trainerlehrgang und wollen sich nun da engagieren. Aber nicht alle, generell wohl eher wenige, wollen und schaffen den Sprung von Schulschach zu Vereins- und Turnierschach. Außerdem studieren sie nach dem Abitur vielleicht anderswo und sind dann weg. Oder man zwingt Spielerinnen, die es in der Schach-AG der Hochschule vereinzelt gibt, aktives Mitglied im Verein zu werden? Da gilt umgekehrt: am Wochenende teils nicht vor Ort – Vereinsabend freitags, Mannschaftskämpfe generell sonntags.
Vielen anderen Vereinen geht es sicher ähnlich. Die paar Vereine, die warum auch immer (absichtlich oder auch eher zufällig) relativ viele Frauen haben, wären klar bevorzugt.
In der Zweiten Bundesliga würden natürlich andere Dinge eine Rolle spielen: Spielerinnen werden, wie von Gerald Hertneck angedeutet, aus dem Ausland geholt (ist das Förderung des deutschen Frauenschachs?) oder von anderen Vereinen abgeworben. Ein Oberliga-Verein, der Spielerinnen auf Niveau Damenbrett Zweite Bundesliga (durchschnittliches Niveau würde vielleicht 2100-2200) bereits hat oder bis zur Saison 2027/28 bekommt, verliert diese womöglich wenn er nicht in die Zweite Bundesliga aufsteigt. Oder man „verheizt“ deutlich schwächere Spielerinnen, um das Frauenbrett irgendwie zu besetzen – die verlieren dann generell, außer der Gegner hat auch nicht mehr zu bieten.
Geld würde auch eine Rolle spielen, nebst potentiell Krach in der Mannschaft – Männer mit 2300-2400 sind wohl Amateure, Frauen auf demselben oder niedrigerem Niveau wollen und bekommen Geld.
„Hat denn jemand die Vereine der Bundesliga gefragt, ob sie dies befürworten?“ Wenn dann müsste man auch Oberliga-Vereine fragen, die potentiell 2027/28 und danach Zweite Bundesliga spielen. Da gehen die Meinungen dann vielleicht auseinander – für einige Vereine ist Frauenbrett ein großes Problem, für andere ein kleines oder keines (da sie Frauen auf diesem Niveau bereits haben oder davon ausgehen, sie zu bekommen). In München und Bayern würden dann sagen wir mal sechs Vereine unterschiedlich abstimmen, in anderen Bundesländern wäre es („dazu habe ich nicht recherchiert“) ähnlich.
Europa kann bald den Nachschub an Spielerinnen und Spieler nicht mehr stemmen für unsere Ligen. Ist das erstrebenswert um die Statistiken zu verfälschen und was bringt ein Legionär dem Verein.
Hallo Holger, deine Argumentation finde ich nicht gut. Zur Begrüßung bekomme ich gleich mit Mein Gott Walter eine reingeknallt, dankenswerterweise hast du wenn er pupst dann knallt er, ausgelassen! Zudem vergleichst du Äpfel mit Birnen. Ich rede von allen Ligen, du redest vom MÄdchenbrett, dessen Auflösung meiner Meinung, ja wir sind unterschiedlicher Meinung, auch ein Fehler war.
Lieber Holger, natürlich weiß ich nicht, ob mein Vorschlag funktioniert, ich sehe aber ganz gute Chancen. Hoffentlich sind wir wenigsten in einem einer MEinung. Albert Einstein sagte: Es ist verrückt, die Dinge immer gleich zu machen und dabei auf andere Ergebnisse zu hoffen.“
Wenn wir Mädchen und Frauen im Schach haben wollen, hier sagen wir beide vermutlich ja, und das möglich ist, hier hoffen wir beide und wissen, wie schwer das ist, müssen wir andere Wege einschlagen. Bei den Wegen sind wir unterschiedlicher Meinung und das ist total, total o.k.
Generell bittet die Chefredaktion um sachliche Diskussion unter den Beiträgen auf dem Schachkicker, es sollte in den Kommentaren nicht zu persönlich werden, auch wenn man unterschiedlicher Meinung ist. Jeder darf eine andere Meinung zu einem Thema haben, aber persönliche Angriffe werden meist als verletzend empfunden.