
Arkadij Naiditsch. Photo: Wikipedia
Am 30. Juli 2015 vermeldete der Deutsche Schachbund auf seiner Homepage folgendes:
„Was seit Wochen schon durch die Presse geht ist nun vollzogen. Unser Spitzenspieler Arkadij Naiditsch hat die Föderation gewechselt und spielt künftig für Aserbaidschan. Ausschlaggebend für den Wechsel war sein Wunsch, sich neuen Herausforderungen zu stellen und in der Weltspitze noch weiter nach vorne zu kommen. Die dazu erforderlichen Mittel kann der Deutsche Schachbund derzeit nicht bereitstellen. Im Gegensatz zu verbreiteter Darstellung stellen wir jedoch fest, dass über viele Jahre erhebliche Mittel in die Förderung von Arkadij Naiditsch geflossen sind, die dazu beigetragen haben, dass er sein hohes Spielniveau erreicht hat.
Arkadij Naiditsch hat für den Deutschen Schachbund viele schöne Siege errungen. Er war insgesamt 77 mal in der Nationalmannschaft eingesetzt. Im Jahr 2007 wurde er in Bad Königshofen Deutscher Meister. Herausragend sind sein Gewinn des Dortmunder Sparkassen Chess Meetings 2005, der Gewinn der Europamannschaftsmeisterschaft 2011 und seine zwei aufeinanderfolgenden Siege gegen den amtierenden Weltmeister Magnus Carlsen auf der Schacholympiade in Tromsø 2014 und auf dem Grenke Chess Classic in Baden-Baden 2015. Sein Wechsel bedeutet einen herben Verlust für die deutsche Nationalmannschaft. Gleichwohl ist der Wechsel in beiderseitigem Einvernehmen erfolgt.
Das Präsidium des Deutschen Schachbundes bedankt sich bei Arkadij Naiditsch für seinen großen Einsatz. Für die Zukunft wünschen wir ihm alles Gute und hoffen, dass er seine sportlichen Ziele auf diesem Weg erreichen kann.
Präsidium des Deutschen Schachbundes“.
Doch die causa Naiditsch, also der Konflikt mit dem Deutschen Schachbund, reichte natürlich tiefer, wie seinerzeit der Schachticker am 25. berichtete:.
Arkadi Naiditsch wurde am 25. Oktober 1985 in Riga geboren. Naiditsch Familie verehrte das Schachspiel, und seine drei Schwestern nahmen später ebenfalls an Wettkämpfen teil. Der junge lettische Schachspieler gewann die Junioren-Europameisterschaft und wurde Zweiter bei der Weltmeisterschaft. Naiditsch wurde wegen seines brillanten Spielstils als Nachfolger der lettischen Schachzauberer Mikhail Tal und Alexei Shirov bezeichnet. Doch 1996 zog die lettische Schachhoffnung dauerhaft nach Dortmund.
Renommierte Spezialisten arbeiten mit dem jungen Naiditsch, insbesondere der russische Großmeister Konstantin Landa hat einen großen Beitrag zu seiner Entwicklung geleistet. Naiditsch nimmt erfolgreich an zahlreichen Turnieren in Deutschland teil und wurde 2001 im Alter von 15 Jahren Großmeister. Die Dortmunder Organisatoren veranstalten regelmäßig Wettkämpfe mit dem aufstrebenden Star, z.B. 2001 besiegte Naiditsch die starke Schachspielerin Almira Skripchenko mit 7-3, und ein Jahr später trennte er sich vom FIDE-Kandidaten 1993 Jan Timman 4-4.
Naiditsch gewann mit Clichy ’92 die französische Mannschaftsmeisterschaft und mit Baden-Baden die deutsche Mannschaftsmeisterschaft. Mit der deutschen Mannschaft wurde er Zweiter im Europapokal der Landesmeister. Nach der Teilnahme an der Weltmeisterschaft 2005 wurde er zum Anführer der deutschen Nationalmannschaft und festigte seinen Erfolg mit dem Gewinn der nationalen Meisterschaft im Jahr 2007. Er wurde 2011 in Porto Carras Europameister mit der deutschen Nationalmannschaft, mit einer Performance von fast 2800 am Spitzenbrett. Danach funktionierte seine Beziehung zum deutschen Schachverband nicht mehr. Die Seiten kritisierten sich gegenseitig scharf, und 2015 wechselte er zum aserbaidschanischen Schachverband.
Arkadij Naiditsch im Wortlaut: „Tatsache ist, dass der Deutsche Schachbund nichts tun will. Das ist der Hauptkonflikt. Ehrlich gesagt, wenn ich vorher versucht habe, es einfach zu ignorieren, ärgert mich die jetzige Situation einfach. Die Situation nicht zu nutzen, um sich weiterzuentwickeln, junge Schachspieler zu fördern und ganz allgemein das Schach im Land zu entwickeln? Das ist pure Dummheit und Unprofessionalität. Ich glaube, es hat sie sogar verärgert, dass wir es geschafft haben, Europameister zu werden.
Seit zehn Jahren haben sie nichts mehr getan! Wie man so schön sagt, sie drehen Däumchen… Sie haben ein Jahresbudget von 700.000 Euro (es setzt sich aus den jährlichen Beiträgen der Schachfans in Deutschland zusammen), aber vor der Olympiade konnten sie keine 20.000 Euro aufbringen. Es wurde gesagt, dass sie das Geld einfach nicht haben. Außerdem handelte es sich nicht um eine Prämie, sondern lediglich um Geld für „technische Ausgaben“ – Buchung von Tickets, Hotels usw.
Ich bin ein ehrgeiziger Mensch. Ich interessiere mich für das Prinzip, dass Sportler für etwas kämpfen. Nur um mitzumachen – ich denke, das ist für einen Sportler falsch. Aserbaidschan ist eine der besten Schachnationen der Welt, und ich habe mich natürlich sehr gefreut, dass ich als möglicher Kandidat für die Mannschaft wahrgenommen wurde. Deshalb war ich sehr froh, dass ich die Chance bekam, in einem so starken Team zu spielen und um die Preise zu kämpfen. Was den Zeitpunkt des Angebots anbelangt, so haben wir schon vor längerer Zeit mit den Verhandlungen begonnen. Wir haben erstmals im Dezember 2014 darüber gesprochen. Im Februar und März haben wir ausführlichere Gespräche geführt. Seitdem wurden einige Details geklärt, so dass meine Versetzung erst vor kurzem (Sommer 2015 – Anm. d. Red.) stattfand“.
Naiditsch gab im September 2016 in Baku sein Olympia-Debüt für Aserbaidschan. Im Oktober 2017 spielte er am ersten Brett des aserbaidschanischen Vereins Odlar Yuldu im European Club Cup; sein Team gewann die Bronzemedaille.
Naiditsch hat den Ruf eines Schachspielers, der jeden Gegner schlagen kann, sogar einen Weltmeister. Zu seiner besten Zeit hat er tatsächlich Weltmeister Carlsen geschlagen. Er hat auch schöne Siege über Vladimir Kramnik und Magnus Carlsen vorzuweisen. Im Finale der Grenke Chess Classic (2015) konnte der amtierende Weltmeister seinen unbequemen Gegner nur in Armageddon besiegen.
Er war verheiratet mit der Schachspielerin Yuliya Shvayger. Die Ehe ist mittlerweile geschieden. Die drei Schwestern von Najditsch, Irina (geb. 1986), Eugenia (1987) und Maria (1988), waren ebenfalls Schachspielerinnen, allerdings seit 15 Jahren inaktiv.
Zum öffentlich ausgetragenen Streit mit dem DSB ist anzumerken, dass Arkady Naiditsch intensiv in seiner schachlichen Entwicklung vom Deutschen Schachbund gefördert wurde, auch mit erheblichen Mitteln, wie weiter oben angemerkt. Allerdings ist auch klar, dass starke Großmeister erwarten zu recht ein Honorar erwarten, wenn sie in der Nationalmannschaft spielen, und insofern kann man verstehen, dass er damals auf die Barrikaden ging. Schlecht war vor allem, dass der Streit so stark in der Öffentlichkeit ausgetragen wurde, und Bundestrainer Bönsch massiv angegriffen wurde.
Wie endete die Geschichte? Eines Tages vielleicht vor 2 bis 3 Jahren fragte Naiditsch beim Deutschen Schachbund an, ob er wieder zu Deutschland als Föderation zurückwechseln können. Dies stieß jedoch keineswegs auf Begeisterung, und der damalige Präsident Krause wehrte sich dagegen, und auch das Referat Leistungssport war nicht begeistert. Außerdem hatte sich die Lage in der Nationalmannschaft schon fundamental geändert, denn dort waren inzwischen die Prinzen angekommen. Das Ganze endete dann damit, dass Naiditsch in die bulgarische Föderation wechselte. Mal sehen, ob das das Ende vom Lied ist.
Heute ist Naiditsch übrigens „nur noch“ 2600-Großmeister, wie sein Rating-Profil ausweist. Mit der Zahl würde er derzeit nicht in die deutsche Nationalmannschaft nominiert werden.