
Am 31. Mai/1. Juni findet der Kongress des Deutschen Schachbundes statt. Auf dem Kongress werden alljährlich die personellen und inhaltlichen Weichen für die Zukunft des deutschen Schachs gestellt.
Michael Busse fasst die aus seiner Sicht spannendsten Fragen vor dem Kongress zusammen – aber Achtung: Alles Meinungssache.
1. Wer wird Präsident?
Die dreifache Schacholympionikin WIM Ingrid Lauterbach steht dem Deutschen Schachbund seit Mai 2023 vor. Ihr wichtigster Programmpunkt war die Konsolidierung der Finanzen, die ihr auch gelang – auf Kosten von Unzufriedenheit bei einigen Betroffenen.
Mit Paul Meyer-Dunker gibt es einen Herausforderer, der den Delegierten des Kongresses bestens bekannt ist. Meyer-Dunker hat den Berliner Schachverband in den letzten Jahren hervorragend aufgestellt und eine starke Bilanz vorzuweisen, ist jedoch im Bundeskongress mit seinen Anträgen häufig nicht durchgedrungen.
Meinung & Prognose:
Dass es eine echte Wahl zwischen zwei Kandidaten gibt, ist zu begrüßen. Für Lauterbach spricht neben der finanziellen Konsolidierung auch das positive Momentum: Deutsche Meisterschaften erfolgreich durchgeführt, Sponsoringvertrag mit UKA verlängert, Schachgipfel 2026 in Dresden gesichert – perfektes Timing. Lauterbach erhält vermutlich einen Stimmenvorsprung und wird wiedergewählt.
2. Geht der Kongress rechtzeitig zuende?
Eineinhalb Tage sind angesetzt (der zweite Tag nur optional), doch die Agenda ist zum Bersten voll. Unter Tagesordnungspunkt 6 sind allein 21 Tätigkeitsberichte gefasst, von der Präsidentin bis zum Referenten für Datenverarbeitung. Die Tagesordnungspunkte 9 und 14 umfassen Anträge. Davon liegen immerhin 32 vor, die Punkt für Punkt behandelt und beschlossen werden müssen. Darunter sind auch Anträge, die sicherlich kontrovers und ausführlich diskutiert werden, wie z.B. der Vorschlag, dass ab der Saison 2027/2028 in der zweiten Bundesliga eines von acht Brettern mit mindestens einer weiblichen Person besetzt werden muss.
Und dann sind da noch die Neuwahlen. 47 Ämter sind zu vergeben, wobei für den Großteil der Positionen nur ein Kandidat existiert. Kandidaten für das Amt der beiden Rechnungsprüfer gibt es aktuell keine – auch dazu gibt es sicherlich Diskussionsbedarf.
Wenn der Wahlmarathon gemeistert ist, steht noch die Diskussion um den Haushalt an. So manches Mal hatten die Delegierten verständlicherweise keinen Nerv mehr dafür und verschoben das Haushaltsthema auf einen Sonderkongress.
Die Hoffnungen all derer, die eine pünktliche Heimreise planen, ruhen auf Ingo Thorn aus Bayern. Der Jurist übernahm bei den letzten Kongressen die Sitzungsleitung und beendete ausufernde Diskussionen schmerz- und kompromisslos.
Meinung & Prognose:
32 Anträge sind schon fast eine Zumutung. Anträge aus der Kategorie „Aufhebung der Bündelung von Mitgliedschaft und Spielberechtigung“ lassen keine Zeit mehr für Diskussionen über wichtige Themen wie zum Beispiel die Frage, wie man mehr Menschen für das Schachspiel begeistern kann.
Viele Anträge betreffen das Vorschriftenwesen, das neben der Satzung bereits 22 Ordnungen umfasst – Tendenz steigend. Künftige Kongresse werden so bald nicht mehr zu bewältigen sein. Trotzdem: Dieses Mal werden die eineinhalb Tage knapp reichen.
3. Wer wird Vizepräsident Verbandsentwicklung?
Für die Vizepräsidenten-Posten „Finanzen“ und „Sport“ kandidieren jeweils nur die Amtsinhaber [Update 24.05.2025: siehe ganz unten]. Beim Vizepräsidenten Verbandsentwicklung gibt es aber zwei Kandidaten: Den bisherigen Vizepräsidenten Guido Springer und Jannik Kiesel.
Kiesel hat seine Wurzeln in der Schachjugend und schickt sich an, den Schachbund aufzumischen. Interessant: Mit Dominik Wieber und Lea Brandl bringt Kiesel zwei Kandidaten für die bisher vakanten Ämter der Referenten Breiten- und Freizeitsport sowie Öffentlichkeitsarbeit mit. Beide Ämter sind dem Bereich Verbandsentwicklung zugeordnet. Ob die beiden Kiesel-Unterstützer ihre Kandidatur zurückziehen, wenn dieser nicht gewählt wird, darf spekuliert werden.
Meinung & Prognose:
Ein großer Angriffspunkt bei Guido Springer ist, dass er es weder im DSB noch in seinem Landesverband Mecklenburg-Vorpommern geschafft hat, offene Positionen in seinem Zuständigkeitsbereich zu besetzen. An diesem Plus für Kiesel kommt der Bundeskongress nicht vorbei – der Student wird es knapp ins Präsidium schaffen.
4. Wie läuft die Diskussion über die Sparpolitik?
Die Balance zwischen Konsolidierung des Haushalts einerseits und notwendigen Ausgaben andererseits wird sich vermutlich wie ein roter Faden durch die Diskussionen ziehen – von den Berichten des Präsidiums über die Berichte der Rechnungsprüfer, die Präsidentenwahl sowie die Haushaltsdiskussion.
Sparen sei kein Selbstzweck, heißt es aus dem Lager der Lauterbach-Kritiker. Die Haushaltskonsolidierung sei zudem nur dank der Erhöhung der Mitgliederbeiträge und buchhalterischer Effekte gelungen. Die Sparpolitik gehe zu Lasten des Sports, insbesondere zu Lasten der Aushängeschilder des deutschen Schachs: den Kaderspielern.
Entscheidend wird sein: Können Lauterbach und der Vizepräsident Finanzen Alexander von Gleich in Aussicht stellen, dass die Zügel wieder gelockert werden, oder müssen sie weiter einen harten Sparkurs verteidigen?
Meinung & Prognose:
Der Sparkurs war unvermeidlich und richtig, wird jedoch nicht mehr lange mitgetragen. Kritische Töne werden daher beim Kongress kommen. Doch dem aktuellen Präsidium wird es gelingen, diese zu beruhigen. Zumal es noch ein Ass im Ärmel hat: Die Aussicht auf eine Steigerung der Einnahmenseite durch den verlängerten (oder gar verbesserten?) Sponsorendeal mit UKA sowie durch das neue Sponsorenkonzept des DSB.
5. Wird wieder offen abgestimmt?
In der Vergangenheit wurde beim DSB-Kongress offen abgestimmt. Jeder konnte somit sehen, welcher Vertreter bei welchem Antrag wie votiert hat. Im Laufe der Zeit wurde der Abstimmungsprozess digitalisiert. Der Dienstleister, die Firma votebox, führte die Abstimmungen digital durch und präsentierte das Ergebnis auf einer Leinwand.
Gleichzeitig wurde der DSB-Kongress live auf Twitch übertragen. Das führte dazu, dass u.a. auf Twitter Screenshots vom Abstimmungsverhalten der Delegierten auftauchten, worüber sich einige erbosten.
Die Verärgerung führte schließlich dazu, dass beim letzten Kongress plötzlich nur noch geheim abgestimmt wurde. Den Zuschauern wurde nur noch angezeigt, wer abgestimmt hat und wie das Endergebnis ausging. Erst als dies auffiel, wurde darüber diskutiert, jedoch im Ergebnis beibehalten. Begründet wurde dies u.a. mit dem Datenschutz.
Nun gibt es einen Antrag aus Württemberg zur Wiedereinführung von offenen Abstimmungen. Interessant wird sein, wie die Abstimmung zu diesem Antrag ausgeht, und ob das Ergebnis schon bei diesem Kongress zur Anwendung kommt. Denn eigentlich handelt es sich um einen nicht-satzungsrelevanten Änderungsantrag, der somit gemäß Tagesordnung erst ganz am Ende der Sitzung behandelt wird.
Meinung & Prognose:
Es gehört zum Kern der repräsentativen Demokratie, dass die Repräsentanten ihr Abstimmungsverhalten offenzulegen und notfalls gegen Kritik zu verteidigen haben. Geheime Abstimmungen mit Datenschutz zu begründen ist verfehlt, denn der Datenschutz steht nicht über der Demokratie. Der Kongress findet hoffentlich einen Weg, den Antrag aus Württemberg an den Anfang der Tagesordnung zu stellen, so dass die offene Abstimmung – jedenfalls als Grundsatz – schon bei diesem Kongress wieder eingeführt wird.
6. Beschließt der Kongress Ablösesummen für Kinder?
Ein interessanter und kontroverser Antrag kommt von der „Arbeitsgruppe Ausbildungskostenentschädigung“, die maßgeblich von Württemberg ins Leben gerufen wurde.
Die Arbeitsgruppe plädiert für die Einführung einer sogenannten „Ausbildungskostenentschädigung“. Die nachfolgende Tabelle beschreibt den geplanten sog. G-Faktor, der noch mit dem D-Wert (bestimmt durch die Dauer der Vereinszugehörigkeit) multipliziert werden soll, um die Ablösesumme zu berechnen.
Die Mechanismen der Ausbildungskostenentschädigung sollen durch eine Erweiterung der Spielgenehmigungsordnung beschrieben werden. Das Ziel des Antrages lautet (Zitat): „Wir wollen die Jugendarbeit fördern und deshalb muss gute Nachwuchsarbeit belohnt und wertgeschätzt werden.“
Meinung & Prognose:
Dem Ziel ist absolut beizupflichten, aber nicht dem Weg. Davon abgesehen, dass die Regelung möglicherweise europarechtswidrig ist und dies nicht vorab geklärt und geprüft wurde, wird hierdurch ein neues bürokratisches Instrument geschaffen. Benachbarte Vereine werden in einen Konflikt getrieben, und die sportliche Entwicklung der Kinder wird künftig durch finanzielle Interessen beeinflusst. Zudem ist die These, dass eine Geldentschädigung bei Vereinswechsel zur Förderung von Jugendarbeit führt, falsch. Die knappe Ressource bei der Jugendarbeit ist nicht das fehlende Geld, sondern fehlendes zeitliches und emotionales Engagement von Jugendtrainern.
Prognose: Die Arbeitsgruppe wird ihren Vorschlag vermutlich dennoch knapp durchsetzen.
Fazit:
Der kommende DSB-Kongress bietet neben einer vollen Tagesordnung auch einigen Zündstoff sowie spannende personelle und inhaltliche Fragen. Auf die Sitzungsleitung kommen ein bis eineinhalb harte Tage zu.
Sowohl die Delegierten als auch die Zuschauer auf Twitch (SchachdeutschlandTV) werden viel Geduld mitbringen müssen, werden aber hoffentlich durch gute Entscheidungen und gelungene Weichenstellungen entschädigt.
Links:
- Vorbericht Deutscher Schachbund: Bundeskongress mit Präsidenten-Duell
- Vorbereitende Unterlagen: Bundeskongress 2025 – Deutscher Schachbund
Beitragsbild: DSB
Eventuelle Hinweise zu diesem Beitrag bitte an sc**************@***il.com
Update vom 24.05.2025:
Inzwischen liegt eine Bewerbung für ein Amt als Vizepräsident vor: Carlos Hauser bewirbt sich für die Position als Vizepräsident Sport. Hier der Link zur Bewerbung.
6. Beschließt der Kongress Ablösesummen für Kinder?
Fußballstars können nach Ablauf des Vertrags ablösefrei wechseln und das ist ein Milliardenmarkt.
Beim Schach sollen Kinder ohne Vertrag in einem Sport mit sehr, sehr wenig Geld für Spitzenspieler Ablöse generieren, was zudem dem europäischen Prinzip der Freizügigkeit widerspricht und bei einem Einspruch wie ein Kartenhaus zusammenbricht. Finde den Fehler!
Peter Orantek, übernehmen Sie!
Gut gemeint ist leider nicht gut gemacht!
Aufgrund der juristischen Lage fällt der Antrag hochkant durch, die Funktionäre haben die Blamage bei der Einführung der Lizent der Schachbundesliga aufgepasst und wissen, das dies nicht durchführbar ist.
Ein ausgezeichneter Vorbericht zum Kongress des Deutschen Schachbunds in Paderborn!
Vielen Dank für den journalistisch hervorragenden Beitrag! Sachlich fundierte Analyse mit begründeter Prognose statt bloßer Stimmungsmache. Ein echter Mehrwert!