
Heute betrachten wir das vermeintliche Problem der mangelnden Schachliteratur für Mädchen. Die KI folgert dazu:
Anpassung von Materialien und Ansprache
– Schachmaterialien (z. B. Arbeitshefte) sollten gezielt auf Mädchen zugeschnitten werden: Mehr positive, aktive und diverse Darstellungen von Mädchen, eine emotionale Ansprache und eine farbenfrohe, ansprechende Gestaltung können Mädchen stärker ansprechen und motivieren.
– Die Ansprache sollte Mädchen gezielt einbeziehen und ihnen zeigen, dass sie im Schach willkommen und sichtbar sind.“
Tatsächlich gibt es bereits eine ganze Reihe von Büchern oder Heften „für Kids“, die in ihren Illustrationen auch Mädchen zeigen. Einige sind auch von Frauen geschrieben. Von den 62 Titeln, die ich spontan fand, sind allerdings manche Mogelpackungen (normales Buch mit einigen mäßigen Illustrationen zugesetzt), einige ganz einfach schlecht, einige behandeln nur für die absoluten Grundlagen und andere berühren das Thema eher am Rande.
Betrachten wir mögliche Titel, die sich explizit an Girls richten, als Erstes unter dem Aspekt des Marketings, hier der Zielgruppe und dem Umfang des Marktes. Dabei gehe ich vom Bereich Mädchen u7-u18 aus. Das sind 3.374 (u7-u14, leider nicht nach Jahrgängen differenziert) und 1.034 (u16-u18), zusammen also 4.408.
Hier zeigt sich das erste Problem, denn Kinder können nicht in der gleichen Weise angesprochen werden wie Teenager. Es müssten also zumindest zwei Produkttypen erstellt werden, was die Zielgruppen drastisch reduziert.
Aber wie viele der Mädchen würden solche Broschüren / Bücher überhaupt lesen? Ganz zu schweigen von denen, die nicht bereits in Vereinen oder Jugendgruppen Mitglied sind, so kaum auf solche Produkte aufmerksam werden würden.
Es gibt m.W. leider keine Daten zum Leseverhalten von Kids im Bereich Schachliteratur.
Anregung: Bei Meisterschaften auf Landes- und Bundesebene Umfragen durchführen, die zwar nicht signifikant wären, aber wenigstens einige Aufschlüsse geben würden. Auch eine Umfrage unter Jungen zum Vergleich wäre wünschenswert.
Mit Hinblick auf den allgemein schrumpfenden Buchmarkt können wir wohl davon ausgehen, dass nur für einen kleinen Prozentsatz der Mädels Bücher oder Broschüren gekauft würden (Sie selbst sind selten die Käufer, meistens wären es Eltern oder Bekannte.), so dass die Auflage sehr gering und wirtschaftlich nicht vertretbar wäre. Durch ein Layout mit vielen Abbildungen etc. würde der Umfang z.B. einer Broschüre größer als üblich sein, die Ausschmückungen kosten natürlich Platz.
Die nächste Frage ist, welche Inhalte publiziert werden sollen. Es könnten wohl Taktikaufgaben, allgemeine Ratschläge zur Spielführung oder kommentierte Musterpartien sein. Auch das Niveau ist ein Problem, da ja Girls von z.B. 600 – 1600 DWZ angesprochen werden müssen, was realistisch kaum durch ein Produkt machbar ist. Eine weitere Unterteilung also. Da vermutlich nicht jede der potentiellen Leserinnen alle Titel interessant fände / kaufen würde, reduziert das die jeweilige Auflage weiter.
Zur „girlischen Gestaltung“ gibt es immerhin schon ein Muster. Die kleine Broschüre „MEHR MÄDCHEN ANS SCHACHBRETT“ von Silke Schwartau und Sarah Fricke, kann wohl als Muster für Grafik und Stil betrachtet werden. Nett gemacht, aber werden Sprüche wie „Üben hilft gut, verliere nicht den Mut“, oder „Am Anfang wirst du oft verlieren. Du gehst durch ein tiefes Tal. Aber du wirst immer besser und irgendwann gewinnst du mal!“ – jeweils von einem gezeichneten Girl mit Krönchen präsentiert, wirklich etwas bewirken?
Es wird auch die Behauptung aufgestellt: „Überall werden Jungs bevorzugt berücksichtigt und finden eine bessere Ansprache“, womit wohl Pluralformen wie Schüler, Trainer etc. gemeint sind. Doch darüber hinaus wird den fast 24.000 Jungs von u7-u18 m.W. keine besondere „Ansprache“ geboten?!
In einer von chessable durchgeführten Untersuchung (nicht ganz Literatur, aber mangels Materials ziehe ich sie heran) beklagt sich eine der befragten Frauen:
„It’s very frustrating to read all the „he“ and „him“ and „his“ in your courses. It‘ like you guys don’t realize that women exist. For me it’s very hard to read the text in your courses because of this. … The lack of female authors is also important. You need female authors if you want to attract women and girls.“
Allerdings wurde diese Auffassung von der Masse der Befragten ebenso wenig geteilt wie der Wunsch, frauenfreundliche Farben zu verwenden, was einige sogar empörte.
Auch an anderen Stellen wurde der Mangel an weiblichen Autoren beklagt.
“ Female authors, 50% of them should be female.“ Doch das ist völlig unrealistisch. Selbst von den Tausenden der aufgrund ihrer Spielstärke / ihres Wissens potentiellen Schach-Autoren in Deutschland schreiben nur sehr wenige tatsächlich ein Buch. Das ist zudem anstrengender als so mancher Leser denken mag und der finanzielle Ertrag ist meist mehr als bescheiden. Und was soll eine Autorin bei einem Sachthema wie Eröffnungstheorie oder Taktik anders schreiben als ein Mann es tun würde? So unterscheidet sich z.B. Susan Polgars Reihe „Richtig Schach Lernen“, JugendSchachVerlag 2019, trotz weiblichen Autors in den Texten nicht von anderen Publikationen ähnlicher Art.
Es gibt bereits kindgerechte Produkte wie die „Rochade-Kids“, was aber anscheinend die Mitgliedszahlen über die Jahre hinweg nicht positiv beeinflusst hat. Man muss unterscheiden zwischen der positiven Wirkung auf das Schachlernen zahlreicher Kinder und der wahrscheinlich geringen Wirkung im Hinblick auf einen Vereinseintritt.
Die Marktchancen für spezielle Literatur für Girls sind also sehr gering, der Nutzen fraglich. Ich bin aber für entsprechende Projekte jederzeit ansprechbar wie auch generell für Fragen von angehenden Autoren.
Ein mögliches Projekt im Zusammenhang mit einem anderen Thema) eventuelle Synergie) werde ich nächste Woche vorstellen.
Abschließend noch eine ketzerische Frage, die jeder Leser für sich beantworten mag:
Würden Schachmaterialien, wie die KI sie vorschlägt, tatsächlich einen nennenswerten Einfluss auf die weiblichen Mitgliederzahlen haben, Mädchen zum Vereinseintritt oder zum Verbleiben dort bewegen können?