Nach acht von elf Runden spitzt sich das FIDE Grand Swiss 2025 in Samarkand weiter zu. Das größte offene Turnier im WM-Zyklus bleibt unberechenbar – und zwei Deutsche mischen ganz oben mit. Es geht dabei nicht nur um Prestige und Preisgeld, sondern um zwei heiß begehrte Plätze für das Kandidatenturnier 2026.
Blübaum und Keymer: Deutsche Trümpfe im Open
Mit 6 Punkten aus 8 Runden liegt Matthias Blübaum an der Spitze des Feldes. Nur Nihal Sarin (Indien) kann Schritt halten, beide führen punktgleich das Tableau an. In der 7. Runde überragte Blübaum mit einem Sieg gegen Arjun Erigaisi, in Runde 8 ließ er sich gegen Co-Tabellenführer Nihal Sarin auf eine Zugwiederholung im 21. Zug ein. Schon nach drei Runden hatte Jonathan Carlstedt im Schachtalk den Begriff „Blübaum-Schach“ geprägt: ohne Fehler, ohne Risiko und ohne Schnörkel – und genau damit hat der Bielefelder nun seine Tabellenführung behauptet.

Blübaums Siebtrundensieg gegen die Nr. 5 der Weltrangliste, Erigaisi (Foto: DSB)
Hinter Blübaum hat auch Vincent Keymer zurück in die Erfolgsspur gefunden. Nach einem durchwachsenen Start siegte er in Runde 8 gegen Vidit Santosh Gujrathi und steht nun mit 5,5 Punkten in der großen Verfolgergruppe auf Rang 7. Deutschland stellt damit gleich zwei Spieler in den Top Ten – und somit zwei heiße Eisen im Feuer.

Dabei profitierte Keymer von einem Fehler seitens Gujrathi. 28 Minuten Nachdenken halfen dem Kandidatenturnier-erfahrenen Inder nicht, mit Schwarz den einzigen remisbringenden Zug 43. …Kd5 zu finden. 43. …c6? gefolgt von 44. c4! gewann die Partie für Weiß.

Die weiteren Deutschen liegen zurück: Dmitrij Kollars (3,5/8), Alexander Donchenko (3/8) und die Svane-Brüder (je 3/8) kämpfen im unteren Mittelfeld, Dennis Wagner (2,5/8) liegt am Ende des Feldes. Doch die deutsche Geschichte dieses Turniers wird bisher klar von Blübaum und Keymer geschrieben.
Internationale Schlaglichter im Open
- Abhimanyu Mishra (USA), der jüngste Großmeister der Schachgeschichte begeistert weiter: Mit 5,5 Punkten liegt er mit einer Turnierperformance jenseits der 2700 auf Platz 3.
- Parham Maghsoodloo (Iran), lange alleiniger Spitzenreiter, fiel in der achten Runde durch ein Remis gegen Giri zurück und belegt Rang 4.
- Firouzja, Abdusattorov, Keymer, Niemann, Giri und Van Foreest – allesamt mit 5,5 Punkten – lauern direkt hinter der Spitze.
Für ein spielerisches Highlight sorgte in Runde 8 der Blitzschach-Weltmeister von 2021, Maxime Vachier Lagrave. Sein Damenopfer machte ihn zum „Player of the Day“.

Link zur Partie: FIDE Grand Swiss 2025
Dabei übersah der Franzose offenbar, dass …Sxf3 auch ohne vorherige Ablenkung des weißen Turms auf der dritten Reihe noch schneller zum Matt geführt hätte. Die in der Partie folgende Mattsequenz war dennoch hübsch anzusehen.
Weltmeister Gukesh D steckt dagegen weiter in der Krise: Nach drei Niederlagen in Serie musste er sich gegen seine Landsfrau Divya Deshmukh mit einem Remis begnügen. Er steht nun bei 3,5 Punkten – Platz 82. Dies wohlgemerkt in einem Turnier, in dem um zwei Plätze für ein Turnier geht, in dem sein eigener Herausforderer ermittelt wird.
Frauen: Lagno übernimmt das Kommando
Im Frauenturnier hat sich die Situation nach Runde 8 zugespitzt:
- Kateryna Lagno führt das Feld mit 6,5 Punkten an, nachdem sie in Runde 8 Dinara Wagner bezwang.
- Vaishali Rameshbabu musste ihre erste Niederlage gegen Bibisara Assaubayeva hinnehmen und steht nun bei 6 Punkten.
- Assaubayeva selbst sowie Song Yuxin, ein bislang recht unbeschriebenes Blatt aus China, schlossen nach Punkten auf – sie alle liegen mit 6 Zählern in Schlagdistanz.
- Die Deutsche Dinara Wagner hatte nach solidem Start zwei empfindliche Niederlagen gegen Lagno und zuvor schon gegen Tan Zhongyi kassiert. In Runde 8 erzielte sie ein starkes Remis gegen die Ukrainerin Anna Muzychuk. Mit 4,5 Punkten rangiert Wagner im oberen Mittelfeld, aber schon mit 1,5 Punkten Rückstand auf Platz 2.
Runde 9: Showdowns an den Topbrettern
Die Auslosung für die 9. Runde bringt gleich mehrere Kracher:

Blübaum muss sich der Angriffe von Abdusattorov erwehren, der in Usbekistan ein Heimspiel hat. Und Keymer bekommt es mit dem starken Iraner Maghsoodloo zu tun, gegen den er zuletzt in der Schachbundesliga verlor.
Bei den Frauen heißen die Spitzenduelle:
- Lagno (6,5) – Assaubayeva (6)
- Vaishali (6) – Song Yuxin (6)
Diese Partien könnten die Tabellen endgültig sortieren – oder alles noch enger machen.
Fazit: Alles offen im Kampf um die Kandidatenplätze
Nach acht Runden ist klar: Das Grand Swiss 2025 wird seinem Ruf als härtestes Qualifikationsturnier der Welt gerecht.
- Im Open haben die Deutschen Blübaum und Keymer reale Chancen auf die Kandidatentickets.
- Bei den Frauen hat Dinara Wagner mit einem starken Auftritt in der ersten Turnierhälfte aufhorchen lassen, auch wenn die Weltklassespitze aktuell noch einen Schritt voraus ist.
Die kommenden drei Runden entscheiden – und könnten für das deutsche Schach historisch werden.
Zu Recht wird im Beitrag darauf hingewiesen, dass das Ergebnis von Gukesh unterirdisch ist – nachdem er aus den letzten 5 Partien nur einen mageren Punkt geholt hat. Offensichtlich kann jeder mal ein schlechtes Turnier haben, aber wenn er zufällig der Weltmeister ist, dann muss man sich tatsächlich fragen, ob der Modus zur Ermittlung des Weltmeisters noch zeitgemäß bzw. repräsentativ ist. Irgendwie hat man seit dem Rückzug von Carlsen den Eindruck, dass in einem WM-Match nicht mehr der wahre Weltmeister ermittelt wird (so wie damals schon nach der Spaltung der WM-Kämpfe). Wobei ich damit nicht die Diskussion aufwärmen möchte, ob es ein feiner Zug von Carlsen war, auf die Verteidigung des WM-Titels zu verzichten. Ja er hatte natürlich das Recht dazu, und die FIDE musste natürlich für Ersatz sorgen. Aber was dann folgte, war gelinde gesagt etwas peinlich. Erst wurde die Weltmeisterschaft zwischen Ding und Nepo im Stechen entschieden. Und dann verteidigte ein Weltmeister, der definitiv nicht auf der Höhe seiner Leistungsfähigkeit war, seinen Titel gegen einen jungen indischen Newcomer, den bis dahin keiner auf der Rechnung hatte. Dabei könnte jeder Schachfan mindestens drei Spieler aufzählen, die besser sind als der Weltmeister, nämlich Nakamura, Caruana und auch Pragg oder Erigaisi. Ja ich verstehe, dass das Recht des Herausforderers in einem Kandidatenturnier ermittelt wird, und dass Gukesh das Turnier 2024 gewonnen hat – wenn auch nur mit einem halben Punkt Vorsprung auf Caruana, Nakamura und Nepo. Siehe https://de.chessbase.com/post/gukesh-gewinnt-kandidatenturnier. Aber es war schon falsch, den Weltmeister 2023 im Stechen zu ermittteln, und wir wissen alle noch, wie Gukesh 2024 Weltmeister wurde, nämlich durch einen relativ simplen Fehler seines Gegners im Endspiel, ansonsten wäre auch dieser WM-Kampf durch Stechen entschieden worden. Nun hätte man über all diese Dinge noch hinweg sehen können, wenn die beiden FIDE-Weltmeister (Ding und Gukesh) im Anschluss starke Turnierleistungen gezeigt hätten, aber genau das Gegenteil war leider der Fall!
Im Ergebnis dieser Überlegungen gelangen wir zu dem Schluss, dass der Weltmeister nicht nur nicht der stärkste Spieler der Welt ist (das ist eindeutig Carlsen), sondern nicht einmal einer der besten fünf Spieler der Welt! Aus meiner Sicht muss die FIDE irgendwie darauf reagieren, auch wenn ich selbst nicht genau weiß wie!
Wie sollte man denn darauf reagieren? Vielleicht, indem man den Führenden in der Weltrangliste am Jahresende zum Weltmeister für das kommenden Kalenderjahr kürt? Die Weltspitze ist infolge der Sozialisierung des Schachwissens leistungsmäßig unheimlich eng zusammengerückt, anders als zu Zeiten von Fischer, Karpow oder Kasparow. Der „wahre“ Weltmeister ist der, der sich im aktuellen WM-Modus durchsetzt. Carlsen nachzutrauern, hilft niemand. „Simple“ Fehler wurden auch in anderen WM-Kämpfen begangen (man denke nur an den legendären „Doppelfehler“ in der 6. WM-Partie von 2014 Carlsen-Anand), und was gegen ein Stechen spricht, erschließt sich mir gleich gar nicht. War das frühere Reglement, bei 12:12 den amtierenden Weltmeister ohne Tie-break weiter regieren zu lassen, denn so viel besser?
Es geht kurz gesagt darum, dass ein Weltmeister nicht nur zwei Jahre lang den Titel trägt, und dann schon wieder abgelöst wird. So wird der Titel des Weltmeisters verwässert!
Noch steht nicht fest, dass Gukesh sein nächstes WM-Match verlieren wird. Im Januar in Wijk aan Zee war er noch (vor dem Blitz-Stichkampf) gleichwertig mit Pragg und klar besser als Caruana und Erigaisi (bei dem es nach einem schlechten Turnier auch hieß „wohl doch keine absolute Weltklasse“). Noch im Mai war Gukesh vor allem dadurch Nummer 3 der Weltrangliste, hinter den semi-inaktiven Carlsen und Nakamura.
In welcher anderen Sportart ist es üblich und wird erwartet, dass jemand seinen WM-Titel jahrelang behält und mehrfach verteidigt? Soll man Gukesh nach einem schlechten Turnier den WM-Titel aberkennen? Wer wäre dann Weltmeister? Ding Liren wohl nicht, welcher der drei Spieler die im Kandidatenturnier knapp hinter Gukesh landeten? Oder etwa Carlsen (manche verlangen beinahe, dass er den Titel lebenslang behalten sollte ohne dass er ihn verteidigen muss) oder „vakant“??
Entscheidung im Schnellschach in WM-Matches gab es „in meiner Zeit“ schon mehrfach: zurück in der Zeit Carlsen-Caruana, Carlsen-Karjakin, Anand-Gelfand und Kramnik-Topalov. Bei Anand-Topalov nur deshalb nicht, weil Topalov aus Angst vor Schnellschach in der letzten Partie mit klassischer Bedenkzeit schachlichen Selbstmord beging.
Was wären die Alternativen? Zunächst weitere Partien mit klassischer Bedenkzeit? Privilegien für den amtierenden Weltmeister (bei Gleichstand behält er den Titel) – hoffnungslos veraltet!? Zwei Weltmeister haben wir zwar momentan im Blitzschach, aber das ginge im WM-Zyklus (vor allem) mit klassischer Bedenkzeit auch nicht – wie ginge es da danach dann weiter??
Das ist tatsächlich das Problem, dass Stichkämpfe seit längerer Zeit üblich geworden sind, also wie geschrieben in Carlsen-Caruana (2018), Carlsen-Karjakin (2016), Anand-Gelfand (2012) und Kramnik-Topalov (2006). Eigentlich ist seit 2016 die Seuche verbreitet. Dies darf aber aus meiner Sicht nicht dazu führen, dass der Titel über Schnellpartien entschieden wird, denn das ist nicht dieselbe Disziplin. Und über Blitzpartien schon gar nicht! In dem Fall wäre es vielleicht wirklich das beste, festzulegen, dass der amtierende Weltmeister dann seinen Titel behält, so wie anno Botwinnik, denn schließlich hat der Herausforderer es nicht geschafft, ihn zu besiegen. Dass das einen psychologischen Vorteil für den Weltmeister bedeutet, ist klar. Was mich hauptsächlich stört, ist dass wir keine Weltmeister mehr vom Format Karpov, Kasparov, Kramnik und Carlsen haben.