
SC Viernheim Vizemeister der BL-Saison 2024/25
Am Saisonende ein Titelregen für den SC Viernheim:
Pokalsieg, Deutsche Meisterschaft und nebenbei zweimal Weltmeister
Viernheim, im Juni 2025. Mit zwei Titeln innerhalb weniger Wochen krönt der Schachbundesligist und deutsche Vizemeister SC Viernheim die Saison 2024/25. Dinara Wagner aus dem Bundesligateam des SC Viernheim gewann Ende Mai in München die Deutsche Meisterschaft der Frauen. Kurz darauf gewann die Mannschaft zum ersten Mal in der Vereinsgeschichte den Deutschen Mannschaftspokal. Beide Erfolge unterstreichen die sportlich anhaltend erfreuliche Entwicklung des Clubs.

Dem Pokalsieg ging für den SC Viernheim die Premiere voraus, zum ersten Mal überhaupt das Finale dieses jährlichen Wettbewerbs aller etwa 2.300 deutschen Vereine zu erreichen. Im Endspiel in Augsburg traf der SC Viernheim im immergrünen Duell auf den Titelverteidiger und 17-fachen Deutschen Meister OSG Baden-Baden.
Anders als in der Bundesliga, wo Achtermannschaften aufeinandertreffen, wird im Pokal an vier Brettern gespielt. Entsprechend hoch ist die Bedeutung jeder einzelnen Partie. „An nur vier Brettern kann so viel passieren. Einmal gepatzt – und der Traum ist dahin“, erklärt Vereinsvorsitzender und Teamchef Stefan Martin. Um Patzer tunlichst zu vermeiden, schickten Martin und Mannschaftsbetreuer Dr. Stefan Spiegel für Viernheim vier starke Großmeister ins Gefecht. Dasselbe taten die Baden-Badener, sodass zwei Spitzenteams auf Augenhöhe einander gegenübersaßen.

„So oft knapp gescheitert“
Im äußerst knappen Finale kam es zu einer weiteren Premiere. Erst im dritten Stechen fiel die Entscheidung über den Sieg im deutschen Mannschaftspokal. Das hatte es noch nie gegeben. 2:2 war der reguläre Vergleich mit klassischer Bedenkzeit ausgegangen. Für diesen Fall sieht das Reglement ein Stechen im Blitzschach vor. Auch das endete 2:2, sodass ein zweites Stechen erforderlich wurde – wieder 2:2. Im dritten Stechen schließlich gelang am ersten Brett Viernheims Bundesliga-Topscorer Chithambaram Aravindh der entscheidende Punkt, der dem Viernheimer Club den Pokal sicherte. „Wir sind so oft knapp gescheitert, dass dieser Titel nun richtig guttut“, sagt Großmeister Dennis Wagner.

Dass Aravindh den entscheidenden Punkt holte, passt zur jüngsten Erfolgsgeschichte des 26-Jährigen. Unmittelbar vor dem Pokalfinale hatte der zweifache indische Meister ein Turnier in Armenien gewonnen und sich damit zum ersten Mal in die Top 10 der Welt gespielt. Seine erste Partie als neuer Top-Ten-Spieler bestritt er für Viernheim. Für Aravindh eröffnet sich mehr und mehr die Perspektive, 2026 am Kandidatenturnier teilzunehmen, wo der nächste Herausforderer des Weltmeisters Dommaraju Gukesh gekürt wird.
Vorausschauende Kaderplanung
Mit Hikaru Nakamura (USA), Nodirbek Abdusattorov (Usbekistan) und Aravindh gehören nun drei Top-10-Spieler zum Kader des SC Viernheim. Obwohl auch auf europäischer Ebene längst als Spitzenclub etabliert, ist das für den SC Viernheim eine neue Konstellation. Die geballte sportliche Spitzenklasse macht Mut für kommende Aufgaben in der Saison 2025/26. Dass sowohl Abdusattorov als auch Aravindh verpflichtet wurden, bevor sie in die absolute Weltspitze vorstießen, zeige die vorausschauende Kaderplanung des Clubs, sagt Martin.
Mit dem Pokalsieg hat der Rhein-Neckar-Club die Saison 2024/25 nun doch mit einem nationalen Mannschaftstitel gekrönt. Das war in der Schachbundesliga nicht gelungen. Nach einem Fehlstart vermochten die Viernheimer den Durchmarsch des neuen Meisters Düsseldorfer SK nicht zu verhindern. Immerhin gelangen zwei Teilerfolge. Beim 4:4 am letzten Spieltag knöpfte Viernheim den Düsseldorfern als einzige Mannschaft einen Punkt ab – und sicherte sich den zweiten Rang vor den punktgleichen Baden-Badenern, die gehofft hatten, auf der Zielgeraden der Saison an Viernheim vorbeizuziehen.
Einladung ins Rathaus: Dinara Wagner bleibt Viernheimerin
Auch 2025/26 will und wird der SC Viernheim in der stärksten Liga der Welt vorne mitspielen. Wie genau sich die Mitbewerber aufstellen, ist noch nicht abzusehen. Die Wechselfrist endet am 1. Juli, und am 1. August werden alle Kader der Bundesligisten veröffentlicht. Erst dann wird sich zum Beispiel zeigen, ob der Düsseldorfer SK den Verlust seines Hauptsponsors kompensieren kann. Gleichwohl sind schon einige Personalien durchgesickert. Deren bedeutendste: Der FC St. Pauli hat vorzeitig die Vertragsverlängerung mit Magnus Carlsen, Nummer eins der Welt, bekanntgegeben. Die Verantwortlichen in Hamburg machen kein Geheimnis daraus, dass sie zumindest mittelfristig auf den Meistertitel schielen.
Aus Viernheimer Perspektive ist eines sicher: Dinara Wagner wird dem Club als Bundesligaspielerin, Integrationsfigur und Botschafterin erhalten bleiben. Kurz vor dem Pokalfinale freuten sich nicht nur die gut 160 Mitglieder des Clubs, als Wagner in München die Deutsche Einzelmeisterschaft der Frauen gewann. Auch die wachsende Gemeinde der Schachfans im Viernheimer Rathaus nahm Anteil. Bürgermeister Matthias Baaß wird Wagner demnächst zur Ehrung für ihren jüngsten sportlichen Erfolg empfangen.

Wie die Mannschaft im Pokal benötigte auch die in Heidelberg lebende Spitzenspielerin des SCV einen Stichkampf. Nach neun Meisterschaftstagen hatte sie den Wettbewerb punktgleich mit Co-Nationalspielerin Hanna Marie Klek beendet. Das Stechen entschied Wagner souverän mit 2:0 für sich.
Zwei internationale Erfolge von Vereinsmitgliedern runden diese außergewöhnliche Saison ab. Parallel zum deutschen Pokalfinale liefen in London die Teamweltmeisterschaften im Schnell- und Blitzschach. Der SC Viernheim hat sich an diesem Wettbewerb freier, von Mäzenen zusammengestellter Teams nicht beteiligt, aber zwei SCV-Bundesligaspieler waren mit von der Partie. David Anton Guijarro wurde mit seinem Team Weltmeister im Schnellschach, Hikaru Nakamura Weltmeister im Blitzschach.
Der Verein: Mit mehr als 160 Mitgliedern (fast die Hälfte unter 25 Jahre) ist der stetig wachsende SC Viernheim jetzt schon der größte Schachclub im Rhein-Neckar-Raum, im Spielbetrieb von der Kreisklasse bis zur Bundesliga vertreten. Unter dem Dach des SC Viernheim vereinen sich Spitzen- und Breitensport sowie Nachwuchsförderung. Der Verein bietet Jugendtraining in mehreren Leistungsklassen an, betreut Schulschach-Arbeitsgemeinschaften und engagiert sich im Hochschulschach.
Der Sponsor: d-fine, europäisches Beratungsunternehmen mit Hauptsitz in Frankfurt, beschäftigt 1500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, deren Fokus auf mathematischer Modellierung, technologischem Fortschritt und Data Science liegt. Als Sponsor unterstützt d-fine den Schachsport, speziell den SC Viernheim und das Hochschulschach.
Text: Conrad Schormann
„Seine erste Partie als neuer (live) Top-Ten-Spieler bestritt er [Aravindh] für Viernheim.“ Es war dann durch Niederlage gegen Zarko Vuckovic (2384) auch die vorläufig letzte Partie als top10-Spieler. Generell war das Viernheimer 2,5-1,5 im Halbfinale gegen den krassen Außenseiter SF Augsburg (ohne GMs angetreten, die sie durchaus auch haben) recht glücklich – aber das passt eben nicht in einen Jubelbericht.
Derzeit ist Aravindh durch 1,5/5 beim noch laufenden Uz Chess Cup wieder auf Platz 20 in der Liveliste abgestürzt. Das zeigt auch, wie nahe beieinander Spieler ab Platz 9 sind. Mittelfristig wird sich zeigen, ob Aravindh wieder die top10 erreichen und sich dann da etablieren kann. Vielleicht kann man später auch konstatieren, dass er die top10 mal „besucht“ hat – wie vor Jahren Eljanov oder Movsesian.
Drei top10-Spieler mag formal Neuland für Viernheim (gewesen) sein, wobei Mamedyarov (der schon in der Zweiten Bundesliga für Viernheim spielte) auch mal top10 war, und Duda war mal nahe dran. Bei der Verpflichtung von Abdusattorov zu Saisonbeginn 2022/23 musste man kein Hellseher sein um zu vermuten (oder jedenfalls zu hoffen), dass er mittelfristig ein top10 Spieler wird. Bei Aravindh hatten sie nun ein glückliches Händchen, wie Düsseldorf mit Sindarov.
Apropos Düsseldorf: Auf Twitter haben sie Anfang Juni die Verpflichtung von Schnellschach-Weltmeister Volodar Murzin verkündet. Gleichzeitig wurde erwähnt, dass Weltmeister Gukesh, der (halbe) Blitzschach-Weltmeister Nepomniachtchi und Chess960-Weltmeister Wesley So weiterhin Mitglied sind. Wie oft sie dann spielen wird sich zeigen – das klingt jedenfalls nicht nach totalem Neuanfang und nächste Saison womöglich Abstiegskampf.
Auf die Düsseldorfer Besetzung in der kommenden Saison bin ich natürlich besonders gespannt!