
Am 15. März beginnt in St. Louis der „American Cup„, ein seit 2022 ausgetragenes Turnier der besten US-amerikanischen Spieler in St. Louis. Titelverteidiger sind Levon Aronian sowie Alice Lee.
Nicht zu verwechseln ist der American Cup mit der traditionsreichen US Chess Championship. Diese stellt die offizielle nationale Meisterschaft dar und wurde zuletzt im Oktober 2024 ebenfalls in St. Louis ausgetragen, mit den Siegern Fabiano Caruana und Carissa Yip.
Bei den Männern sind Bobby Fischer und Samuel Reshevsky mit je acht nationalen Titeln die Rekordhalter. Doch beide werden noch von einer Frau übertrumpft, die sogar neun Mal US-Meisterin wurde: Gisela Kahn Gresser.
Gisela Kahn Gresser? Der Name klingt doch sehr nach deutschen Vorfahren. Und so stieß ich – von der Neugierde getrieben – bei der Recherche für den Chess Tigers Blog auf einen inspirierenden Lebenslauf einer beeindruckenden Persönlichkeit, die möglicherweise einen entscheidenden Einfluss auf die Karriere von Bobby Fischer ausübte.
Gisela Kahn Gresser, genannt „Peggy“, wurde am 8. Februar 1906 in Detroit, Michigan geboren. Ihre Mutter Margaret kam aus einem ungarisch-jüdischen Elternhaus. Ihr Vater Julius stammte in der Tat aus Deutschland, genauer: aus Münstereifel (heute: Bad Münstereifel) im Süden von Nordrhein-Westfalen. Gemäß der Genealogiedatenbank geni.com wurde er im Jahr 1897 in Jacksonville (Florida) als Amerikaner eingebürgert. 1903 patentierte er eine Technik, um mit Stahlbeton zu bauen. Er zog nach Michigan und half seinem Bruder Alfred dabei, die Detroiter Autofabriken zu bauen. So wurde Gisela in Detroit geboren.
Sie studierte Klassische Philologie und gewann ein prestigeträchtiges Stipendium, um ihr Studium in Athen fortzusetzen. 1927 kehrte sie nach New York zurück und heiratete mit nur 21 Jahren William Gresser, einen Anwalt und Musikwissenschaftler aus New York City.
Den Namen Gresser bekam Gisela daher über ihren Mann. Dessen Eltern wiederum waren weißrussischer bzw. russischer Herkunft.
Doch wie kam Gisela Kahn Gresser zum Schach? Während einer Kreuzfahrt von Frankreich nach New York 1938 lieh sie sich von einem Mitreisenden ein Schachbuch aus und brachte sich selbst das Spiel bei. Am Ende der Kreuzfahrt war sie vom Schachspiel begeistert. Sie besuchte die US-Meisterschaft der Frauen in New York und nahm bereits zwei Jahre später (1940) selbst an diesem Turnier teil. 1944 gewann sie es zum ersten Mal. Sie wiederholte diesen Erfolg mehrfach und ist mit 9 Siegen Rekordhalterin vor Irina Krush (8 Siege). Ihre letzte US-Meisterschaft gewann sie 1969 im Alter von 63 Jahren.
1949 widersetzte sie sich dem Wunsch ihres Ehemannes und reiste nach Moskau, um dort an der Schachweltmeisterschaft (ein Rundenturnier mit 16 Spielerinnen) teilzunehmen. Weltmeisterin wurde Lyudmila Rudenko aus der Sowjetunion, die dabei nur eine einzige Niederlage hinnehmen musste: gegen Gisela Kahn Gresser.
Gresser vs. Rudenko, Moskau 1949-50: Zur Partie
Später spielte Gisela Kahn Gresser in sechs Frauen-Weltmeisterschaftszirkeln: fünf Kandidatenturnieren (1955, 1959, 1961, 1964 und 1967) und einem Interzonenturnier (1971). Für das US-Team spielte sie zudem in drei Frauen-Schacholympiaden (1957, 1963 und 1966).
GM Artur Bisguier, der Gresser 30 Jahre lang einmal pro Woche in ihrer Wohnung in der Park Avenue trainierte, erinnerte sich daran, dass sie eine „sehr fleißige“ Schülerin war. „Sie glaubte nicht unbedingt an [Schach] Bücher, aber sie schrieb Notizbücher voll mit allem, was ich ihr sagte, jeder Variante“, erzählte er. „Sie war eine sehr intelligente Frau.“
Gresser war nicht nur eine talentierte Schachspielerin, sondern auch eine starke Befürworterin der Idee, dass Frauen auf höchstem Niveau im Schach konkurrieren könnten. Sie war eine der ersten Frauen, die den Titel „Woman International Master“ (WIM) erhielten, als der Weltschachverband FIDE diesen Titel im Jahr 1950 einführte.
Unter den Männern, gegen die sie in ihrer langen Karriere spielte, war auch Bobby Fischer. Bevor dieser mit 15 Jahren der jüngste Großmeister aller Zeiten wurde, rief seine Mutter eines Tages Gresser um Rat an. Der Wunderknabe hatte keine Lust, zur Schule zu gehen, und seine Mutter wollte wissen, was Gresser über seine Chancen in der Schachwelt dachte. Nach Aussagen ihres Sohnes Ion soll sie folgendes gesagt haben: „Er ist ein wunderbares Schachtalent. Lass ihn Schach spielen.“
Welchen Einfluss Gisela Kahn Gresser damit auf die Karriere des späteren Weltmeisters genommen hat, ist heute nicht mehr zu klären. Fischer verließ jedenfalls mit 16 die Schule. Seine Mutter zog aus dem gemeinsamen Apartment in Brooklyn aus und ließ den Jungen dort allein.
Wie ging es mit Gisela Kahn Gresser weiter? Ihr Mann starb 1982, doch sie ließ sich davon nicht die Lebensenergie nehmen. Sie spielte weiterhin Schach, und zwar bis ins hohe Alter. Noch mit 82 Jahren nahm sie als einzige Frau an einem italienischen Meisterturnier teil. Daneben blieb sie kulturell interessiert. Sie sprach mehrere Sprachen, malte, spielte Händel und Bach auf der Flöte und unternahm in ihren 80ern mehrere Safaris nach Afrika. Dabei überlebte sie sogar eine Flugzeugnotlandung, bei der sie mehrere Tage lang in der Wüste von Lybien gestrandet war. Am 4. Dezember 2000 starb sie im stolzen Alter von 94 Jahren. 2012 wurde sie als erste Frau in die Hall of Fame des US-Schachs aufgenommen..
Gisela Kahn Gresser war über viele Jahrzehnte hinweg eine dominante Figur im internationalen Frauenschach. Sie bleibt eine Pionierin. Ihr Lebenswerk zeigt, dass Frauen im Schach auf höchstem Niveau spielen können und dass Schach nicht nur ein männlicher Sport ist.
Quellen:
U.S. Women’s Chess Championship – Wikipedia
Gisela Gresser; Chess Pioneer Won National Title 9 Times – Los Angeles Times
Geni – Gisela Gresser (Kahn) (1906-2000)
Women in Chess: Gisela Kahn Gresser
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