Bekanntlich ist Großmeister der höchste Titel der im Schach vergeben wird, und bekanntlich behält man ihn auf Lebenszeit. Was jedoch weniger bekannt ist, dass es immer mehr inaktive Großmeister gibt. Ab wann ist man eigentlich nach FIDE-Statuten inaktiv?
Früher war es so, dass ein Jahr oder 12 Monate ohne gewertete Partie bereits ausreicht. Doch dann beschloss die FIDE im Corona-Jahr 2020 folgendes: das Qualifikationskommission hat der FIDE empfohlen, die als „inaktiv“ geltende Frist vorübergehend von 12 auf 24 Monate zu verlängern. Die vom FIDE-Council genehmigte Ausnahmemaßnahme wurde bereits auf die Ratingliste im November 2020 angewendet. Diese Änderung wird rückgängig gemacht, sobald die Schachaktivität wieder auf das vorpandemische Aktivitäts- und Wettbewerbsniveau zurückgeht.
Somit sollte die Frist für Inaktivität wieder bei 12 Monaten liegen. Und siehe da wir schlagen nach im FIDE Handbuch, Stand 2024:
7.2.2 Als aktiv gelistete Spieler:
Ein Spieler gilt als inaktiv, wenn er innerhalb eines Jahres kein gewertetes Spiel bestritten hat. Ein Spieler wird wieder als aktiv gelistet, wenn er innerhalb eines Jahres mindestens ein gewertetes Spiel bestritten hat. Er wird dann in der nächsten Liste als aktiv aufgeführt.
Die Inaktivität ist also sehr großzügig definiert, und wird bei nur einer gewerteten Partie sofort wieder aufgehoben. Und trotzdem gibt es ungewöhnlich viele Großmeister, vor allem in älteren Jahrgängen, die inaktiv sind. Hier eine kurze Auswertung, anhand der FIDE Ratingliste:
Männliche GM mit Geburtsjahr 1965 und älter (Ü60) sind aktuell 325 verzeichnet. Davon aktiv sind 176, somit sind inaktiv: 149. Das ist nicht wenig! Ganz prominente Namen darunter sind:
Topliste der Inaktiven:
1. Kasparow
2. Salow
3. Azmaiparashvili
4. Seirawan
5. Karpow
6. Chernin
7. Hodgson
Nun ja, bei den meisten weiß man wieso. GM Kasparow hat sich vor 20 Jahren vom Profischach zurückgezogen. GM Salow eher noch länger (nach Streit mit Kasparow), GM Azmaiparaschwili ist Vorsitzender der Europäischen Schachunion, GM Seirawan wurde erst Schachverleger und ist jetzt Schachpromoter und Kommentator. Ex-WM Karpow ist Duma-Abgeordneter, GM Chernin ist Schachtrainer und GM Hodgson hat sich vor etwa 30 Jahre voll dem Schulschach in London verschrieben.
Was wir eigentlich zum Ausdruck bringen wollen: es gibt wirklich wenige Großmeister, die im Alter noch aktiv Schach spielen. Noch dünner wird das Feld, wenn wir Geburtsjahr 1960 als Schwelle ansetzen, also quasi das echte Rentenalter (65 Jahre):
Männliche GM mit Geburtsjahr 1960 und älter: 191 Treffer. Davon aber nur 91 aktiv, und genau 100 inaktiv!
Hinweis: das Geburtsjahr 1960 wurde bei der Auswertung vom System ausgefiltert.
Und wer sind denn nun diese „Schachopas“, die noch aktiv sind? Hier die Liste der stärksten Spieler, nach Elo sortiert:
1. Gurevich, Mikhail GM
2. Christiansen, Larry GM
3. Timman, Jan H GM
4. Nunn, John GM
5. Andersson, Ulf GM
6. Kengis, Edvins GM
7. Kaidanov, Gregory GM
8. Sturua, Zurab GM
9. Speelman, Jon S GM
10. Boensch, Uwe GM
11. Beliavsky, Alexander GM
GM Mikhail Gurevich
Der stärkste aktive Schachspieler der Welt über 65 ist somit GM Michael Gurevich, wir gratulieren! Er ist seit vielen Jahren für Belgien gemeldet und wohnt seit 1991 in Belgien, allerdings lesen wir auf Wikipedia: Differenzen mit dem belgischen Schachverband führten dazu, dass Gurewitsch von 2005 bis 2015 auf der Schacholympiade die Türkei vertrat.
Übrigens haben viele dieser Spieler lange Phasen der Inaktivität in ihrem Lebenslauf. Und oft stehen sie mit der schlechtesten Zahl in der Liste, die sie je hatten. Ja – auch das gehört zur grausamen Wahrheit: im Alter nimmt die Spielstärke ab, da nützt auch die viele Erfahrung oft nichts mehr. Allerdings liegen alle Genannten noch über Elo 2450, aber damit gehören sie schon zu den Ausnahmen!
Vor etwa einem Monat fand in St. Louis die nationale Seniorenmeisterschaft statt, und die hat viele älter US-Spieler aufgrund des hohen Preisgelds wieder vom Ofen hervorgelockt. Was wir bräuchten, wären mehr Seniorenturniere mit attraktivem Preisgeld, wir denken, dann würden auch wieder mehr Senioren teilnehmen.
Endstand US-Seniormeisterschaften 2025
Für den ersten Platz gab es am Ende sogar fast 30.000 US-Dollar! Leider in Deutschland (und vielen anderen Ländern) völlig undenkbar!
Das Titelbild dieses Artikels ist natürlich ein Werk von Franz Jittemeier, das den GM Hertneck im hypothetischen Alter von 80 Jahren zeigen könnte.
5 thoughts on “Die alternden und oft inaktiven Großmeister – ein Überblick”
Zwei Anmerkungen:
1. Warum die Beschränkung auf männliche GM? Das Gesamtbild ändert sich natürlich nicht, wenn auch Pia Cramling (aktiv), Maia Chiburdanidze (inaktiv) und Nona Gaprindashvili (aktiv) berücksichtigt werden, aber ich sehe keinen Grund, diese Spielerinnen unter den Tisch fallen zu lassen.
2. Bei den aktiven 65+ Spielern fehlen ein paar Namen: Artur Jussupow und Predrag Nikolic sind noch aktiv und wären zwischen Christiansen und Timman aufzulisten, ebenso ist auch Eric Lobron aktiv, dieser steht in der Elo-Rangliste zwischen Speelman und Bönsch.
Hallo Holger, danke für die Anmerkungen, zu den Frauen, das geschah einfach nach Lust und Laune, weil ich mich in dem Beitrag auf die männlichen GM fokussieren wollte. Und richtig, das Geburtsjahr 1960 fiel wohl raus bei der Auswertung. Diese Statistik bei der FIDE ist immer etwas tricky.
Punkt 2. von Holger liegt vermutlich daran, dass Gerald bei der FIDE Advanced Search neben „Exclude Inactive“ Geburtsjahr 1912-1960 angegeben hat, und dann wird 1960 nicht berücksichtigt. Jussupow spielte nach fast fünf Jahren Elo-Inaktivität mit klassischer Bedenkzeit (durchaus einige Schnell- und Blitzturniere) zuletzt bei der Mannschafts-WM der Senioren. Nikolic spielt noch Mannschaftskämpfe in Deutschland, den Niederlanden und Bosnien. Lobron spielt auch noch Mannschaftskämpfe für Schott Mainz. Turniere spielten Nikolic und Lobron offenbar zuletzt 2019.
Generell interessant (dabei nicht auf die Schnelle ermittelbar, wohl auch nicht ohne weiteres automatisiert mit Skripten), was die Senioren-GMs noch spielen. Ein paar Stichproben:
Gurevich – neben Mannschaftskämpfen jedes Jahr an Pfingsten das Limburg Open in Maastricht
Christiansen – tatsächlich nur noch regelmäßig die US-Seniorenmeisterschaft (üppiges Preisgeld dank Rex $inquefield)
Andersson – neben eher sporadisch Mannschaftskämpfen noch recht viele Schnellturniere
Spraggett – wohnt wohl nun in Portugal, spielt da relativ viele Opens
weiter unten (war mir bekannt): Romanishin (*1952) spielt noch sehr viele Opens „für alle“ in diversen europäischen Ländern. Wohl dadurch ist er nun auf 2270 abgestürzt. Er tut sich schwer, Spieler mit 2000-2200 zu besiegen, wobei er (wenn er derlei Gegner bekommt) gegen 2400+ durchaus noch Remis halten kann. Vor Jahren (muss vor 2019 gewesen sein) gab er mal eine Masterclass in der Amsterdamer Schachakademie und sagte schon damals „ich bin alt, mein Computer ist alt, meine Datenbank ist alt, …“.
Noch eine kleine Spielerei: Weltweit gibt es für Jahrgang 1935 und davor immerhin 184 aktive Spieler, darunter 42 Deutsche (davon 10 in der top12 der Altersklasse 90+). Weltweit gibt es in dieser Altersklasse 3449 Spieler(innen), die mal FIDE-gewertete Partien gespielt haben und noch leben (oder FIDE hat nicht mitbekommen, dass sie verstorben sind). Diese deutsche Liste (insgesamt 879) wird angeführt von GM Klaus Darga (*1934, spielte offenbar zuletzt 2001).
Interessanter Artikel der mir aufzeigt, dass berühmte Spieler (in diesem Fall männliche Personen) meiner eigenen (!!) Altersgruppe oft schon – Turnierschachlich – inaktiv geworden sind, und nicht dem berühmtesten Gegenbeispiel von dem verstorbenen GM Viktor Kortschnoi nacheifern, der noch – bevor er seinen Schlaganfall bekam – im hohen Alter hochkarätige Schachturniere mitgespielt hatte.
Wie fit ist man noch, wenn man 60 Jahr und älter ist? – Im Sportbereich – auch bei anderen Sportarten – kann das sehr unterschiedlich sein!
Wichtig wäre natürlich auch weibliche Senioren-Spielerinnen der Altersklasse ab 60 zu erwähnen! Am eindrucksvollsten finde ich persönlich GM Pia Cramling, die Ratingmäßig immer noch unter den besten Frauen Top 40 der Weltrangliste gelistet wird.
Ja die aktivste Großmeisterin der Welt über 60 ist tatsächlich Pia Cramling. Danach folgt die wesentlich ältere Nona Gaprindashvili, die jedoch viel weniger spielt. Maja Chiburdanidze ist dagegen schon seit längerem inaktiv, aus Gründen die mir nicht bekannt sind. Wikipedia vermerkt dazu trocken: Tschiburdanidse wird bei der FIDE als inaktiv geführt, da sie seit einem im Februar 2011 in Doha ausgetragenen Turnier des FIDE Grand Prix der Frauen 2009–2011 keine Elo-gewertete Partie mehr gespielt hat.
Wertet man dagegen nach WGM statt GM aus, dann sind es über 53 Frauen, davon über die Hälfte inaktiv. Hier finden sich auch Brigitte Burchardt und Barbara Hund unter den aktiven Spielerinnen.
Zwei Anmerkungen:
1. Warum die Beschränkung auf männliche GM? Das Gesamtbild ändert sich natürlich nicht, wenn auch Pia Cramling (aktiv), Maia Chiburdanidze (inaktiv) und Nona Gaprindashvili (aktiv) berücksichtigt werden, aber ich sehe keinen Grund, diese Spielerinnen unter den Tisch fallen zu lassen.
2. Bei den aktiven 65+ Spielern fehlen ein paar Namen: Artur Jussupow und Predrag Nikolic sind noch aktiv und wären zwischen Christiansen und Timman aufzulisten, ebenso ist auch Eric Lobron aktiv, dieser steht in der Elo-Rangliste zwischen Speelman und Bönsch.
Hallo Holger, danke für die Anmerkungen, zu den Frauen, das geschah einfach nach Lust und Laune, weil ich mich in dem Beitrag auf die männlichen GM fokussieren wollte. Und richtig, das Geburtsjahr 1960 fiel wohl raus bei der Auswertung. Diese Statistik bei der FIDE ist immer etwas tricky.
Punkt 2. von Holger liegt vermutlich daran, dass Gerald bei der FIDE Advanced Search neben „Exclude Inactive“ Geburtsjahr 1912-1960 angegeben hat, und dann wird 1960 nicht berücksichtigt. Jussupow spielte nach fast fünf Jahren Elo-Inaktivität mit klassischer Bedenkzeit (durchaus einige Schnell- und Blitzturniere) zuletzt bei der Mannschafts-WM der Senioren. Nikolic spielt noch Mannschaftskämpfe in Deutschland, den Niederlanden und Bosnien. Lobron spielt auch noch Mannschaftskämpfe für Schott Mainz. Turniere spielten Nikolic und Lobron offenbar zuletzt 2019.
Generell interessant (dabei nicht auf die Schnelle ermittelbar, wohl auch nicht ohne weiteres automatisiert mit Skripten), was die Senioren-GMs noch spielen. Ein paar Stichproben:
Gurevich – neben Mannschaftskämpfen jedes Jahr an Pfingsten das Limburg Open in Maastricht
Christiansen – tatsächlich nur noch regelmäßig die US-Seniorenmeisterschaft (üppiges Preisgeld dank Rex $inquefield)
Andersson – neben eher sporadisch Mannschaftskämpfen noch recht viele Schnellturniere
Spraggett – wohnt wohl nun in Portugal, spielt da relativ viele Opens
weiter unten (war mir bekannt): Romanishin (*1952) spielt noch sehr viele Opens „für alle“ in diversen europäischen Ländern. Wohl dadurch ist er nun auf 2270 abgestürzt. Er tut sich schwer, Spieler mit 2000-2200 zu besiegen, wobei er (wenn er derlei Gegner bekommt) gegen 2400+ durchaus noch Remis halten kann. Vor Jahren (muss vor 2019 gewesen sein) gab er mal eine Masterclass in der Amsterdamer Schachakademie und sagte schon damals „ich bin alt, mein Computer ist alt, meine Datenbank ist alt, …“.
Noch eine kleine Spielerei: Weltweit gibt es für Jahrgang 1935 und davor immerhin 184 aktive Spieler, darunter 42 Deutsche (davon 10 in der top12 der Altersklasse 90+). Weltweit gibt es in dieser Altersklasse 3449 Spieler(innen), die mal FIDE-gewertete Partien gespielt haben und noch leben (oder FIDE hat nicht mitbekommen, dass sie verstorben sind). Diese deutsche Liste (insgesamt 879) wird angeführt von GM Klaus Darga (*1934, spielte offenbar zuletzt 2001).
Interessanter Artikel der mir aufzeigt, dass berühmte Spieler (in diesem Fall männliche Personen) meiner eigenen (!!) Altersgruppe oft schon – Turnierschachlich – inaktiv geworden sind, und nicht dem berühmtesten Gegenbeispiel von dem verstorbenen GM Viktor Kortschnoi nacheifern, der noch – bevor er seinen Schlaganfall bekam – im hohen Alter hochkarätige Schachturniere mitgespielt hatte.
Wie fit ist man noch, wenn man 60 Jahr und älter ist? – Im Sportbereich – auch bei anderen Sportarten – kann das sehr unterschiedlich sein!
Wichtig wäre natürlich auch weibliche Senioren-Spielerinnen der Altersklasse ab 60 zu erwähnen! Am eindrucksvollsten finde ich persönlich GM Pia Cramling, die Ratingmäßig immer noch unter den besten Frauen Top 40 der Weltrangliste gelistet wird.
Danke für das interessante Thema! 🙂
Ja die aktivste Großmeisterin der Welt über 60 ist tatsächlich Pia Cramling. Danach folgt die wesentlich ältere Nona Gaprindashvili, die jedoch viel weniger spielt. Maja Chiburdanidze ist dagegen schon seit längerem inaktiv, aus Gründen die mir nicht bekannt sind. Wikipedia vermerkt dazu trocken: Tschiburdanidse wird bei der FIDE als inaktiv geführt, da sie seit einem im Februar 2011 in Doha ausgetragenen Turnier des FIDE Grand Prix der Frauen 2009–2011 keine Elo-gewertete Partie mehr gespielt hat.
Wertet man dagegen nach WGM statt GM aus, dann sind es über 53 Frauen, davon über die Hälfte inaktiv. Hier finden sich auch Brigitte Burchardt und Barbara Hund unter den aktiven Spielerinnen.