
Girls und ihre Vorbilder
Die KI – und nicht nur sie – hat einen weiteren Punkt der Mädchenförderung ausgemacht, den wir heute betrachten wollen:
Vorbildfunktion und Sichtbarkeit
– Die Förderung und mediale Präsenz erfolgreicher Schachspielerinnen ist entscheidend. Weibliche Vorbilder inspirieren und motivieren Mädchen, selbst aktiv zu werden und im Schach zu bleiben. Mentoring-Programme und gezielte Öffentlichkeitsarbeit können diesen Effekt verstärken.“
Ein sportliches Vorbild kann sicher Interesse an einem Sport wecken und das haben wir u.a. im Schach am Fischer-Boom der 1970er gesehen, der allerdings überwiegend auf männliche Spieler wirkte. Tatsächlich muss es nicht einmal eine reale, lebende Person sein. Die fiktive Person Beth Harmon, der Star der Netflix Miniserie „Damengambit“ („The Queen’s Gambit“), weckte das Interesse viele Menschen am Schach. Beths Aufstieg vom Waisenkind, das mit 8 Jahren Schach lernte und bis zum Alter von 22 Jahren zur Weltspitze der Männer vorstieß, verbunden mit allerlei persönlichen Problemen, faszinierte. Zur Popularität der Serie trugen aber auch unrealistische Darstellungen bei. Es wird stets schnell gezogen, die Partien sind scharf und spannend, während in der Realität Schach-Matches manchmal so spannend sind, „wie Lack beim Trocknen zuzusehen“ und der Weg zum Erfolg mit vielen langweiligen Remisen gepflastert ist.
Zwar ist durch die Covid-Periode die Datenlage nicht ganz schlüssig, doch scheint sich das Interesse an „The Queen’s Gambit“ zwar im Hobby-Schach, doch nicht in einem wesentlichen Mitgliederzuwachs des DSB widerzuspiegeln.
Ein Paradebeispiel für die Wirkung einer fiktiven Spielerin auf die Mitgliedszahlen des Verbandes ist die 1993/94 von RTL2 ausgestrahlte deutsche Fassung der japanischen Anime-Serie „Mila Superstar“ (Attack no.1). Die 12jährige Mila Ayuhara tritt nach überstandener Lungenkrankheit in ein Volleyball-Team ein und erlebt in der Folge Höhen und Tiefen, bis sie ihr Ziel, die beste Spielerin der Welt zu werden, am Ende erreicht. Wikipedia schreibt:
„Die Fernsehserie war in Deutschland insbesondere bei Kindern unter 14 Jahren sehr beliebt. … Gleichzeitig sorgte die Serie für ein steigendes Interesse am Volleyballsport in Deutschland Mitte der 1990er Jahre, insbesondere bei Mädchen zwischen sieben und elf Jahren. Die Mitgliedszahlen von Volleyballvereinen stieg bei den Mädchen in dieser Zeit um 77 %, was auch als „Mila-Effekt“ bezeichnet wurde.„
Der Boom hielt bis 1997 an. Der Sportökonom Dr. Daniel Weimar von der Universität Duisburg-Essen hat ein Arbeitspapier zum „Mila-Effekt“ verfasst und die Volleyball-Mitgliedszahlen aus den 1990ern ausgewertet. Das ist auch für alle interessant, die über Öffentlichkeit das Schachinteresse steigern möchten.
www.volleyballfreak.de/mila-superstar-und-der-volleyball-boom-in-den-1990ern
Mit realen, lebenden Vorbildern im Mädchen- und Frauenschach sieht es leider derzeit nicht gut aus, es zeigt sich keine „Mila des Deutschen Schachs“. Ein Problem dabei ist sicher auch, dass man einem Körpersport-Idol leichter nacheifern kann. „Kick it like Beckham“ ist einfacher getan als „Spiel Königsindisch wie Keymer“. Die Ausübung eines Körpersports ist viel einfacher als die komplexe Arbeit am Königsindischen. Beim Körpersport kann eine Technik des Stars – wenn auch zunächst in eher primitiver Form – nachgeahmt und allmählich verbessert werden. Zudem gibt die körperliche Betätigung ein gutes Gefühl und ist befriedigend (setzt Glücks-Hormone frei), während Königsindisch-Varianten eher Kopfschmerzen geben und manchmal auch ein Gefühl, das nicht wirklich begriffen zu haben. Insofern stellt sich die Frage, ob im Schach Vorbilder die gleiche Wirkung wie in Körpersportarten haben. Hier kann man zwar den Fischer-Boom anführen, aber wie viele ähnliche Fälle gibt es?
Es wäre interessant zu untersuchen, wie Vorbilder von beiden Geschlechtern im Schach gesehen werden, welche anspornende Wirkung sie ausüben.
Mit Elisabeth Pähtz (*1985) hat Deutschland eine Spielerin, die durch Erfolge wie Jugend-Weltmeisterinnen Titel schon früh auf sich aufmerksam machte: Vize-Jugendweltmeisterin U10 (1995); WGM (2002); Jugend-Weltmeisterin U18 (2002) und Junioren-Weltmeisterin (2005) und dann schob sie sich in die erweitere Frauen-Weltklasse vor. Doch dieses starke Vorbild scheint wenig Wirkung auf das deutsche Mädchenschach gehabt zu haben. Warum nicht? Eine vergleichbare Spielerin wird Deutschland wohl für absehbare Zeit nicht wieder haben.
Es bleibt uns also nur ein fiktives Vorbild. Leider ist es wohl illusorisch zu hoffen, dass sich ein Produzent für eine Schach-Mila TV-Serie findet.
Vielleicht lassen sich aber die Themen Schachliteratur für Girls und Vorbilder verknüpfen. Eine Idee für ein – zugegeben bescheidenes Projekt – ist, dass ein fiktives Mädchen ein Trainingsprogramm in Buch- oder Broschüren-Reihe für Fortgeschrittene Anfänger vorführt (wiedergibt, was sie vom Trainer, der Schachversion von Milas Herrn Hong, gerade gelernt hat), dies mit eigenen Erlebnissen verknüpft (Teilnahme an Turnieren, Erfolge und typische Reinfälle), sich mit dem Nachbarjungen oder Bruder / Brüdern freundschaftlich kabbelt (was auch Jungs als Leser einbeziehen könnte), dabei oft die Nase vorn hat und sich nie unterkriegen lässt. Basis könnten u.a. kleine Themen sein wie in Frank Oltmanns „79 Schachlektionen für ein erfolgreiches und unterhaltsames Training“. Durch Ansprechen des episodischen Gedächtnisses wäre sogar das Behalten verbessert. Die junge Leserin kann sich mit der „Heldin“ identifizieren, ihre Erfahrungen aufnehmen und sich zu eigen machen.
In Buch- oder Broschüren(-Reihen) wäre das wohl machbar, Letztes auch als Streuartikel (kleines Geschenk / kleiner Preis bei Turnieren), Ausschnitte als „Teaser“ gezeigt in Schachzeitungen, z.B. im Magazin „JugendSchach“. Bei einer geschickten Verbindung von Trainingsinhalten und Schachmilas Erlebnissen könnte diese vielleicht etwas Kultstatus gewinnen, sie zur „Brand“ machen. Auch weitere Bereiche, z.B. die Gewinnung von mehr Selbstvertrauen und Durchsetzungsvermögen, könnten eingebunden werden.
„Boys are encouraged to take chess seriously, while girls are often subtly discouraged. Seeing few female role models only reinforces the idea that chess isn’t “for them.” Blog von WuraolaA auf Lichess, 6.6.2025
Sind Boys wirklich ermutigt durch Role Models härter zu trainieren und mehr zu spielen? Da bin ich sehr skeptisch und glaube nicht an einen solchen Einfluss.
Wer – gleich welchen Geschlechts – ermuntert werden muss, seinen Sport ernst zu nehmen, liebt ihn nicht wirklich. Und wer seinen Sport liebt lässt sich kaum je entmutigen, sich damit zu beschäftigen und zu profilieren