
Das war ja alles nach meiner Zeit in München (bis Anfang 2022). Der Reiz der Turniere liegt für mich dabei auch daran, dass ich da neben international bekannten Namen auch „mir bekannte Namen“ entdecke. Da sind zum einen Münchner Titelträger, denen ich selbst im Schnell- und Blitzschach am Brett begegnete (mit zur jeweiligen DWZ/Elo passenden Ergebnissen). Zum anderen sind es auch darüber hinaus Spieler meines ehemaligen und anderer Münchner Vereine. Da sind es nicht nur, aber vor allem Jugendliche (ich war ja Jugendleiter). Sie wurden natürlich älter – einige nun junge Erwachsene – und machten weitere Fortschritte. Wenn sie keine weiteren Fortschritte machten spielten sie jedenfalls nicht im A-Turnier (Untergrenze generell DWZ/Elo 2000).
Dieser Bericht ist quasi zweigeteilt: erst relativ kurz zur ersten und zweiten Auflage des Turniers, dann ausführlicher – auch ein paar Diagramme zu Schlüsselmomenten von Schlüsselpartien – zur neuesten Auflage. Das eingangs genannte zu Jugendlichen wird nur einmal eher nebenbei erwähnt.
Münchner Pfingstopen 2023
Vorne landeten am Ende sechs Spieler mit 7/9, und zwar drei GMs und dann – nach Buchholz relativ sauber von diesen getrennt – drei IMs. Die GMs waren die Turnierfavoriten Motylev, Sarana und Demchenko. Die IMs waren Deutsche aus dem Norden, Südosten (jedenfalls deutschlandweit, nicht München-intern) und Südwesten. Sie landeten da auf etwas unterschiedliche Art und Weise: Aljoscha Feuerstack und Ruben Gideon Köllner bekamen mehrere starke GMs, so reichte es bei ihnen auch für GM-Normen. Maximilian Berchtenbreiter hat das irgendwie vermieden, einziger großmeisterlicher Gegner war Gudmundur Kjartansson (damals Elo 2402).
Spieler in der Setzliste direkt hinter den drei bereits genannten waren weniger erfolgreich. Sie haben nach sieben Runden aufgehört – sowohl der an vier gesetzte bekannte Baadur Jobava als auch der an fünf gesetzte vergleichsweise unbekannte Pier Luigi Basso. Es kann viele Gründe geben, ein Turnier abzubrechen – „keine Chance mehr auf Preisgeld“ ist für Spieler, die damit rechneten, ein möglicher Grund. Jobava hatte in Runde 7 gegen Ruben Gideon Köllner verloren.
Ein kleines bisschen Politik: die topgesetzten drei waren ja alle zuvor Russen. Sarana spielte zu diesem Zeitpunkt bereits für Serbien, Motylev und Demchenko spielten unter der FIDE-Flagge. Motylev verhandelte wohl bereits mit dem rumänischen Schachverband, der ihn kurz danach vor allem als Trainer engagierte. Demchenko wurde später – wie Fedoseev – Slowene.
Münchner Pfingstopen 2024
Diesmal waren es fünf Spieler mit 7/9 und GMs blieben unter sich. Es waren auch die ersten fünf der Setzliste, nach Buchholz (nicht nach Elo) sortiert Fedoseev, Quparadze, Kollars, Eljanov und Frederik Svane. Der Georgier Giga Quparadze war eigentlich nominell klar schlechter aber erwischte für seine Verhältnisse ein Giga-Turnier – Remis gegen drei seiner genannten Kollegen und Sieg gegen Elofavorit Fedoseev. Insgesamt war es die ehemalige Sowjetunion – nun breiter verteilt – und Deutschland.
Weniger zufrieden war wohl diesmal der an sechs gesetzte Maximilian Berchtenbreiter, der nur 4,5 Punkte erzielte. Schuld waren u.a. Niederlagen gegen den relativ unbekannten aber sicher auch talentierten Türken Attila Kuru (Baujahr 2011, inzwischen IM) und den Regensburger Cédric Oberhofer, und diesmal verzichtete Berchtenbreiter auf die letzte Runde.
Münchner Pfingstopen 2025
Das ist nun der Hauptgang nach doppelter Vorspeise. Auf dem Schachkicker wurde bereits erwähnt, dass diesmal sechs Spieler _mindestens_ 7/9 erzielten. Es waren fünf GMs und ein IM, sechs Nationen und – Stand vor dem Turnier – grob drei Himmelsrichtungen. Zwei dieser sechs waren dabei noch besser. Bevor ich dazu und damit auch zum „Schicksal“ des Turnierfavoriten Alekseenko (nun nicht nur schachlich, sondern auch überhaupt Österreicher) Ursachenforschung betreibe, eine Vorbemerkung. Auch „sehr international“ wurde ja schon erwähnt.
Das Teilnehmerfeld
39 Nationen ist offenbar einschließlich einem Andorraner im B-Turnier, aber auch 38 Nationen im A-Turnier ist bemerkenswert. Im A-Turnier waren deutsche Spieler(innen) erstmals gar in der relativen Minderheit, 45 von 152. 2023 waren es noch 92 von 162, 2024 noch 69 von 132. Dennoch gab es das eine oder andere deutsch-deutsche oder Münchner oder gar vereinsinterne Derby. War „Ausländer rein“ eine gezielte Aktion im weltoffenen München, oder war es in diesem Ausmaß Zufall?
Die deutsche Nationalmannschaft fehlte diesmal komplett, vielleicht bis auf Fiona Sieber bei den Frauen. Josefine, die nun offiziell Safarli heißt, leistete ihrem Ehemann keine Gesellschaft bzw. hat jedenfalls nicht mitgespielt. Bei den Herren lag es wohl nicht an „wir waren doch (bis auf Kollars) gerade erst in München“. Eher lag es daran, dass sie (mit Kollars) zu Turnierende in London waren und da als „Team Germany and friends“ bei der Mannschafts-WM im Schnell- und Blitzschach dabei waren oder aktuell noch sind (was da gerade gegen ein Team mit deutschem Sponsor passierte ist nicht Thema dieses Artikels).
Die Ausländer
Neben 45 Deutschen waren es diesmal 33 Inder (2023 waren es 17, 2024 nur 4, wie viele oder wenige werden es dann 2026?). Auch die Ukraine war mit 10 Personen gerade so zweistellig vertreten, wobei da vielleicht einige ihren Wohnort und Lebensmittelpunkt in Deutschland haben. Pavel Eljanov fehlte diesmal, zuvor hatte er ein relativ schwächer besetztes Turnier souverän mit 8,5/9 gewonnen. Jedenfalls FM Petro Lohvinov ist Ukrainer und seit Jahren (schon vor der russischen Invasion) Münchner. Gegen ihn habe ich übrigens 100%, 1/1 im Schnellschach – und dabei wird es wohl bleiben. Vermutlich werde ich ihm nicht nochmals begegnen (zum Zeitpunkt der Partie war er noch kein FM, Elo 2300 hatte er später nur vorübergehend mal).
Er will aber offenbar nicht den Verband wechseln, im Gegensatz zu z.B. dem ukrainischen Münchner IM Michael Fedorovsky – seit vielen Jahren aus beruflichen Gründen in München, Verbandswechsel kam offenbar etwas später. Dass er eingebürgert ist zeigt sich vielleicht auch daran, dass „Servus“ Bestandteil seines deutschen Vokabulars ist. Es gibt mindestens noch einen deutschen Spieler mit ukrainischem Namen, Yevhenii Yelisieiev vom für mich anderen Tarrasch (Noris-Tarrasch Nürnberg) – tatsächlich hat er erst vor kurzem den Verband gewechselt (russische Version des Vornamens wäre wohl Evgeny).
Schlüsselmomente des Turniers
Es gab aus meiner Sicht drei bis fünf in drei Duellen der favorisierten GMs, dazu nun Diagramme:
Runde 5 Alekseenko-Amar 1-0 0-1
Das ist die Stellung nach 44.-L(d7-)c6 45.Dg8+ Ka7. Leichter weißer Materialvorteil bei exponiertem König, aber Engines sagen dazu etwa +3. Anfangs war es nicht etwa Französisch sondern die Caro-Kann Vorstoßvariante, aus der ähnliche Strukturen entstehen können. Schwarz investierte eine Qualität, danach wanderte sein unrochierter König mehr getrieben als freiwillig von e8 bis nach a7.
Und nun? Beide hatten hier noch etwa 3 1/2 Minuten plus 30 Sekunden pro Zug. Richtig war für Weiß z.B. 46.Dg1+ (aber da stand die Dame gerade erst) 46.-Kb8 47.Tg2 usw., oder 46.Kh2 – die Partiefortsetzung zeigt, warum der weiße König da weniger schlecht steht als auf h3. Nach 2 Minuten spielte Alekseenko 46.Dxe6?? und das von Engines kritisierte 44.-Lc6 wurde zur schlauen Falle: 46.-Txf3+! 47.Txf3 Ld7 48.Dxd7 Dxd7+ 49.Kh2 Dg4 usw. . Für Engines ist das nun etwa ausgeglichen, dabei wohl bei latent knapper Bedenkzeit für Weiß schwerer zu spielen. Der nächste Fehler kam dann im 57. Zug und danach waren Dame plus Freibauer(n) stärker als zwei Türme.
Runde 8 Amar-Demchenko 1-0
Zuvor kam 29.Sxc5 bxc5 30.Lxc5+ Kf6 31.Lf3 – Weiß hat eine Figur für zwei Bauern geopfert. Bei korrektem Spiel bekommt Weiß die Figur zurück und Schwarz bekommt zwei Bauern zurück. Materiell und überhaupt ist es dann (wieder) ausgeglichen. Anfangs war das – ahnt man es noch? – ein Philidor (1.e4 d6 2.d4 Sf6 3.Sc3 e5).
So hässlich es aussehen mag, hier war 31.-Lh8 Pflicht. Stattdessen kam nach etwa acht der Schwarz verbleibenden knapp 20 Minuten 31.-Lf8??. Auch hier bekommt Weiß die Figur zurück, aber hier behält er einen Mehrbauern mit Gewinnstellung – für Analyse siehe z.B. auf Lichess. Daraus wurde dann ein Turmendspiel mit zwei weißen Mehrbauern, das trotz beiderseits relativ komfortabler Bedenkzeit noch zweimal kippte:
Das erste mal direkt nachdem mit 53.Txc5 Txa3 endgültig aufgeräumt wurde. Hier gewinnt nur 54.h4 oder auch 54.Th5 (dann läuft zunächst der c-Bauer). Nach 54.Kg2?? war es objektiv Remis, zunächst 54.-Tc3 und nun käme 55.h4 schon zu spät: 55.-Kd6 56.Tc8 Kd7 usw. mit Zugwiederholung oder der c-Bauer fällt. Demchenko fand einige Zeit auch weiterhin z.T. einzige Züge, bis zu diesem Moment:
Nun war 63.-Kf3 Pflicht und auch danach muss Schwarz einzige Züge finden. Aber es kam 63.-Ke5?? und nach (endlich) 64.h4 gewann Weiß doch: Wenn Schwarz mit Turmtausch den c-Bauern verhaftet ist der h-Bauer zu weit weg, und auch sonst entscheidet einer der beiden Freibauern.
Tags darauf sicherte sich Elham Amar mit einem Kurzremis bereits den geteilten Turniersieg bei besserer Wertung, wer würde ihn einholen?
Runde 9 Alekseenko-Safarli 1-0 0-1
Bei diesem Chaos würde ich auf anfangs z.B. 1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lc4 Sf6 4.Sg5!? d5 usw. tippen, aber es war ein Rossolimo-Sizilianer (1.e4 c5 2.Sf3 Sc6 3.Lb5 e6 4.Lxc6 bxc6 usw.). Weiß hat vier (4) Mehrbauern aber etwas unkoordinierte Figuren – Schwarz hatte den Bogen zuvor dennoch überspannt. Vermutlich muss Weiß etwas Material zurückgeben um sich zu konsolidieren. Das dachte offenbar jedenfalls Alekseenko und spielte 25.Thg1 – was eine Qualität kostet (sicher Absicht) aber im höheren Sinne auch die weiße Grundreihe schwächt. Es kam 25.-Sxg1 26.Txg1 Tf7.
Zunächst sagen Engines nun, dass 27.Dc6 etwa ausgeglichen ist (aber nicht mehr vorteilhaft, was bei 25.Dc6 der Fall gewesen wäre), dann spucken sie das aus: 27.Dc6 Lxe5 28.Dxe6 fxe3 29.Sxe5 De8 und nun ist 30.Dxf7+ Dxf7 31.Sxf7 exf2 auf den ersten Blick mehr als OK für Weiß, aber 32.-Te8! (nur so!) und egal was Weiß spielt (außer 33.Se5 Txe5 was natürlich auch nicht hilft) 33.-Te1+ mit Matt, Bauernumwandlung oder (vorläufig) Turmgewinn. 27.Sg4 (Partie) war es auch nicht, hatte Weiß hier nach 27.-Lxg4 zunächst 28.Txg4 Lxe5 29.Dxe5 Txc4! übersehen?
In der Partie hatte Weiß später zwar immer noch vier Mehrbauern aber dafür einen Turm weniger, vier versprengte und nicht weit vorgerückte Bauern waren dafür keine Kompensation.
Andere Spieler
Von den GMs auf dem geteilten dritten Platz machte der Bulgare Momchil Petkov quasi alles richtig, Remisen gegen seine Tabellennachbarn kann man ihm kaum verübeln. Natürlich hätte er zum Schluss gegen Amar weiterspielen können aber nahm mit Schwarz „den Spatz in der Hand“. Der Inder Visakh hate gegen Alekseenko verloren. Korobov hatte auch zu viele Remisen, einige dabei früh im Turnier gegen nominell schwache Gegner.
Der IM Marius Deuer ist ein anderes Kapitel: „Schweizer Gambit“ mit Niederlage bereits in Runde 1, aber am Ende hatte auch er 7/9 (bei klar schlechtester Wertung). Laut DWZ-Liste spielt er offenbar zukünftig für den Münchner SC (mit „Himmelsrichtung Westen“ meinte ich seinen bisherigen Verein Schönaich bei Stuttgart). Wieder ein Beispiel für erfolgreiche Jugendarbeit des Münchner SC!?
Leonardo Costa wurde vielleicht vom Chessbase-Zwischenbericht („Costa mit gutem Start“) gejinxt, gibt es diesen Begriff auf Deutsch? Nach anfangs 4,5/5 (das Remis dabei in Runde 1) verlor er dreimal nacheinander, jeweils schien es „vermeidbar“. Am Ende dann noch ein hart erkämpfter Sieg gegen eine gut 300 Punkte schwächere Gegnerin – Entscheidung ab dem 83. Zug. Das war dabei nur noch Elo-Schadensbegrenzung.
Und das noch
Wie wurde ich vielleicht erstmals auf Elham Amar aufmerksam? Es war auch in Bayern, etwas südlich von München am Tegernsee Ende Oktober 2024. Diese Partie hat er doch glatt in 86 Zügen gegen einen meiner ehemaligen Jugendlichen gewonnen. Arthur Humbert hatte sich diese Paarung durch zuvor 3/3 verdient, und beide hatten offenbar ihren Spaß. Natürlich war es spätestens im 43. Zug – Doppelturmendspiel mit null gegen sechs Bauern – aufgabereif. Später konnte Schwarz die Partie auch etwas früher beenden, aber begann erst mit Aufbau der Figuren nach der Partie: zwei Freibauern in Läufer umwandeln, diese nach c8 und f8 manövrieren, der schwarze König ging von g5 zurück nach e8. Früher einzügig mattsetzen war eine Option.
Wie geht es weiter? In Bayern auf hohem Open-Niveau wohl wieder am Tegernsee, für diverse Spieler: das müssen sie selbst zusammen mit ihren Gegnern entscheiden.
Generell möchte ich anmerken, dass es für eine Großstadt wie München und deren Schachszene von eminenter Bedeutung ist, dass wieder ein internationales und repräsentatives Turnier in der Stadt ausgetragen wird! Zu lange lag das Schachleben in München mehr oder weniger brach!