
Da mich einige Entwicklungen und Personalentscheidungen interessierten, tat ich es mir an, die TV-Übertragung des DSB Kongresses in Paderborn am Samstag zu verfolgen. Leider gab es eine Reihe von Unterbrechungen, so dass mir einiges entging. Aber ein paar Punkte, die den Leser interessieren könnten, möchte ich hier beleuchten.
Sitzungsleiter war Jurist Klaus Deventer, der die Versammlung souverän leitete.

Zunächst wurden diverse Anträge abgearbeitet. Alleine neun brachte der Präsident des Württembergischen Schachverbandes, Dr. Carsten Karthaus, ein. Meistens handelte es sich um Satzungsänderungen, die „Vielfalt“ und „Gleichstellung“ im Schach fördern sollten, aber tatsächlich nur komplizierte Textgebilde waren, die nichts an den Dingen ändern würden. Aber er wollte „ein Signal senden“ – nun ja, aber ob es dafür auch Empfänger gibt? Jedoch erreichten sowohl sein Satzungsantrag zur Ergänzung der Vielfalt als auch zur Gleichstellung der Frauen nicht die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit.
Erstaunlich ist, dass er sich später auf der Homepage des Landesverbands beklagte: „Der Kongress war wieder einmal von Geschäftsordnungsdebatten, Destruktivität und angespannter Atmosphäre geprägt.“
Nach ein und dreiviertel Stunden quälend langer Satzungsdiskussion kam es nach den Ehrungen (GM Rainer Knaak, WGM Brigitte Burchardt, GM Raj Tischbierek und DSAM-Urgestein Ingrid Schulz) endlich zum wahren Höhepunkt des Tages, nämlich der Präsidentenwahl.
Amtsinhaberin Ingrid Lauterbach gegen den Präsidenten des Berliner Schachverbands Paul Meyer-Dunker, kurz PMD. Ich fand es nicht fair, dass Ingrid Lauterbach, die sich vor zwei Jahren in der schwersten Krise des DSB bereiterklärt hatte, das undankbare Amt anzunehmen und den Verband erfolgreich saniert hatte, nun abgewählt werden sollte.
Was mich im Vorfeld zudem befremdete war, dass der DSB zwar derzeit große Anstrengungen zur Frauenförderung und Gewinnung weiblicher Mitglieder unternimmt, wofür auch PMD vehement eintritt, aber die erste weibliche Präsidentin, die noch dazu viele Erfolge in ihrer ersten Amtszeit vorweisen konnte, abgewählt werden sollte?! Was ist da mit der Signalwirkung?
Zum Ablauf der Wahl: Jedem der beiden Kandidaten wurden vor der Wahl 5 Minuten Redezeit zugebilligt. Die Reihenfolge wurde durch Ziehen einer Karte bestimmt und es startete PMD. Einer seiner Kernpunkte war, die große Zahl der Online Spieler und Schachinteressenten für die Mitgliedschaft in Vereinen gewinnen zu wollen. Ein schönes Ziel, aber man braucht kein Wissenschaftler zu sein, um zu erkennen, dass das freie Spiel und das sporadische Interesse an Schach-Events (er erwähnte die Levy-Rozman Show) eine völlig andere Welt sind als das Vereinsschach mit seinen Limitationen und Verpflichtungen. Aber natürlich klingen solche Sachen gut, egal wie es später mit ihrer Verwirklichung aussieht.

Ingrid Lauterbachs Präsentation wirkte im Vergleich zu solch schillernden Plänen natürlich eher trocken, hatte dafür aber den Vorteil realistisch zu sein. Ihr liegt vor allem die Digitalisierung im DSB am Herzen und das ist ohne Zweifel auch die vordringlichste Aufgabe. Der DSB ist in erster Linie ein Verwaltungsapparat für die Mitglieder und die DWZ-Wertung und das ist ohne funktionierende Digitalisierung einfach nicht möglich.

Auf die Rückfrage von GM Hertneck, wann denn nun die Sparpolitik vorbei sei, und die Etats der Referenten wieder auf ein vernünftiges Maß aufgestockt würden, antworteten beide Kandidaten eher ausweichend, dass dies von den Umständen abhinge. Anders war es auch nicht zu erwarten, denn natürlich hängt es immer von der aktuellen Finanzlage ab, wie viel man sich leisten kann.
Ehrenpräsident Herbert Bastian meldete sich mit dem klugen Hinweis zu Wort, dass die Bewerbungsreden auf ihn den Eindruck gemacht hatten, dass Lauterbach gedanklich eher im Leistungssport unterwegs war und PMD im Breitensport. Am liebsten würde er daher beide im Präsidium sehen, um die Welten zu vereinen.
Nun schritten die Delegierten zur Wahl, und Lauterbach gewann mit dem eher knappen Ergebnis von 116 zu 103 bei 9 Enthaltungen. Ein Landesverband hatte sich wohl enthalten. Übrigens hatten alle Insider vor der Wahl erwartet, dass das Ergebnis knapp ausgehen würde, denn es hatten sich in den Landesverbänden zwei etwa gleich starke Lager gebildet, die jeweils für ihre Kandidaten abstimmten. Und da die Wahl geheim durchgeführt wurden, wussten selbst viele Insider nicht, wer für wen stimmte. Sicher ist nur, dass Bayern kein Hehl daraus machte, für PMD zu stimmen, während Hessen für die „Hauskandidatin“, nämlich die Frankfurterin Lauterbach stimmte.
Für die Kandidaten der Vizepräsidenten gab es jeweils 3 Min. Redezeit. Jannik Kiesel hatte es leicht, denn für den verwaisten Posten des VP für Verbandsentwicklung (bis dahin besetzt durch Guido Springer) gab es keinen anderen Kandidaten. Kiesel ist sicher der beste Sprecher im Präsidium. Seine Bewerbung war klar, sicher und überzeugend vorgetragen. Erfreulich war, dass er anders als PMD in seiner Bewerbung konkrete Schritte und Maßnahmen nannte, die machbar erscheinen.
Den Posten des VP Finanzen hatte kommissarisch Alexander von Gleich übernommen, der ohne einen Gegenkandidaten mit großer Mehrheit gewählt wurde. In jungen Jahren war von Gleich übrigens ein starker Schachspieler bei Bad Godesberg, der es bis auf Elo 2360 brachte und in der Bundesliga spielte. Diese Liebe zum Schach ging bei ihm trotz anstrengender beruflicher Tätigkeit im Bankenbereich, in dem es ihn bis nach Kasachstan verschlug, nie verloren!
Für den Posten des VP Sport gab es wieder eine Kampfkandidatur. Der Amtsinhaber Professor Jürgen Klüners wurde vom 37-jährigen Dr. Carlos Hauser herausgefordert, der aber unterlag.
Damit stand das Präsidium in folgender Besetzung: Ingrid Lauterbach, Jürgen Klüners, Alexander von Gleich und Jannik Kiesel, wobei von Gleich im Anschluss zum Stellvertreter der Präsidentin gewählt wurde.

Nach den Wahlen zum Präsidium ging die Tagesordnung zur Wahl der Referenten über, wobei es anfangs keine Überraschungen gab, da die meisten Amtsinhaber erneut kandidierten.
Eine große Überraschung war jedoch, dass der Referent für Leistungssport, GM Gerald Hertneck, erklärte, nicht mehr kandidieren zu wollen, obwohl es zunächst keinen Gegenkandidaten gab. Neben Amtsmüdigkeit war wohl auch ein Grund, dass er schon wusste, dass sein Antrag auf eine Quotenregelung in der 2. Bundesliga abgelehnt werden würde. Er hatte in der 2. Bundesliga für eine Aufteilung mit mindestens 2 deutschen Spielern, maximal 2 Nicht-EU Ausländern und 4 EU-Ausländern plädiert, was sinnvoll ist und die unselige Überflutung der Bundesligen mit Legionären ein wenig eingegrenzt hätte. Jedoch hatte nicht nur Bundesrechtsberater Strobl Bedenken wegen einem möglichen Verstoß gegen EU-Recht, sondern auch etliche Delegierte.
Problem: Woher einen Kandidaten nehmen? Zum Glück gab es ja noch CM Dr. Hauser, der sich auch sofort bereit erklärte, das Amt zu übernehmen und gewählt wurde. Sicher ist er enthusiastisch und redlich bemüht, hat aber bisher keine Erfahrungen mit Leistungssport auf hoher Ebene und wird es daher nicht leicht haben, die Schuhe seines Vorgängers auszufüllen, der vier Jahre im Amt war.
Ein Spektakel besonderer Art bot sich der Versammlung bei der Wahl des Seniorenreferenten. Der Amtsinhaber Wolfgang Block kandidierte nach 6 Jahren Amtszeit nicht mehr, aber dafür trat Wolfgang Fiedler an, der schon lang im Seniorenbereich aktiv ist, dieser konnte jedoch nicht die Mehrheit der Stimmen auf sich vereinen. Damit das Amt nicht unbesetzt blieb, schlug der Amtsinhaber spontan den früheren Referenten Gerhard Meiwald vor, der aus der Ferne seine Bereitschaft zur Kandidatur erklärte, jedoch ebenfalls in der Abstimmung unterlag. Hier wurde deutlich, dass der Kongress einen Neuanfang im Seniorenschach forderte, jedoch fehlte es am passenden Kandidaten, sodass das Amt leider vakant blieb!
Ein Punkt, der u.a. im parallel laufenden Chat kritisch angesprochen wurde, ist das Alter der Präsidiumsmitglieder. Das ist jedoch nicht ganz fair. Der Aufwand an ehrenamtlicher Arbeit, der mit solchen Ämtern verbunden ist, kann kaum von jemand, der mit Studium, beruflicher Karriere und Familie belastet ist, gestemmt werden. Erst in den späten 40ern des Lebens, wenn es in ruhigeren Bahnen verläuft, lässt sich die Zeit dafür erübrigen. Da die Funktionärslaufbahn meist auf regionaler oder Landesebene beginnt und ein paar Jahre des Sammelns von Erfahrung benötigt, ist man schnell in den fortgeschrittenen 50ern, also alt.
Mit der Wahl von mehreren teils noch sehr jungen Kandidaten aus dem Bereich der DSJ ist dieser Kritik nun ohnehin der Wind aus den Segeln genommen.
Ich denke, dass ein Verband, der auf festen Füßen steht, den „jungen Wilden“ gute Chancen bieten wird, ihre Ideen zu realisieren. Man darf aber nicht zu viel erwarten, denn der DSB hat längst nicht die Möglichkeit, alles zu leisten, was manche Schachfreunde von ihm erwarten oder sogar verlangen.
Zum Schluss stellt sich die Frage: geht der Deutsche Schachbund geschwächt oder gestärkt aus dem Kongress hervor? Ich denke, eher gestärkt, da der Großteil des bisherigen Präsidiums im Amt blieb und so die Erfahrung, die im Amt gesammelt wurde, in der Organisation bleibt. Umgekehrt war es aber auch erfreulich, dass auch Jüngere in die Leitungsfunktionen hineingewählt wurden, denn Jüngere haben oft frische Ideen und mehr Energie als Ältere.
Kritisch zu sehen war die Gegenkandidatur von PMD. Es wäre besser gewesen, wie von Herbert Bastian in der Versammlung angeregt, wenn er in Nachfolge von Guido Springer für das Amt des Vizepräsidenten Verbandsentwicklung kandidiert hätte, um die besten Kräfte im Präsidium zu bündeln, und seine Ideen und Kräfte im Konsens und nicht in der Konfrontation einzubringen. Und vor allem wäre damit vermieden worden, dass der DSB als ein innerlich zerstrittener Verband in der Öffentlichkeit wahrgenommen wurde, in dem die Landesverbände an zwei Seiten des Seils ziehen, um ihren Team zum Sieg zu verhelfen, und danach erschöpft zu Boden fallen!
Dieser Artikel ist ein Gemeinschaftswerk von unserem neuen Autor Heinz Brunthaler und Chefredakteur Gerald Hertneck, der vor Ort anwesend war.
Sehr schön geschrieben, ich sehe vieles genauso. Aber: Eine Kandidatur ist ein demokratischer Akt, das Zeichen sich aktiv einbringen zu wollen und kein Zeichen der Zerstrittenheit, da widerspreche ich. Let us agree to differ!
Grundsätzlich ja, in dem Fall muss man die Sache allerdings etwas differenzierter sehen, denn die Kandidatur war eine gezielte Kampagne, gesteuert aus Bayern, zur Abwahl der Präsidentin Ingrid Lauterbach. Man könnte auch sagen, eine Intrige!
Interessanter Bericht – nicht ganz klar, was da eigentlich von Heinz Brunthaler stammt und was von Gerald Hertneck. Ein Punkt ist anders als beim Schachbund: dort – https://www.schachbund.de/news/weiter-so-bundeskongress-sieht-den-dsb-mit-ingrid-lauterbach-auf-einem-guten-weg.html – steht „Die Auslosung ergab, dass die Amtsinhaberin zuerst mit ihrer Präsentation an der Reihe war.“ Angesichts offenbar sehr unterschiedlicher Reden und Konzepte hätten beide dabei wohl in umgekehrter Reihenfolge dieselben Reden gehalten, und den Ausgang der Wahl hat es wohl nicht beeinflusst.
Zu Sinn und Zweck der Gegenkandidatur von Paul Meyer-Dunker kann man immer geteilter Meinung sein. Gerald Hertneck bezeichnete das dabei erst quasi als chancenlosen Egotrip, und nun als „gezielte Kampagne, gesteuert aus Bayern (PMD etwa nur Marionette??)“ und „Intrige“. Es war, unabhängig von Erfolgschancen, sein gutes Recht zu kandidieren. Ist übrigens zwingend der Fall, dass Landesverbände immer einheitlich abstimmen?
Nun plötzlich „nur Vizepräsident Verbandsentwicklung“ wäre kurios gewesen: erstens war offenbar nicht vorab klar, dass Guido Springer nicht erneut antreten würde. Zweitens ist Jannik Kiesel vielleicht eher dem (jungen) Lager von PMD zuzuordnen, warum hätten sie dann gegeneinander antreten sollen?
Hypothetisch-spekulative Frage: Wie viele Stimmen, und dann wie viele Neinstimmen und Enthaltungen, hätte Ingrid Lauterbach als einzige Kandidatin erhalten? Wohl mehrheitlich Jastimmen (auch wenn man noch spekulieren kann, dass nun einige für sie stimmten um die „schillernde Figur“ PMD zu verhindern), aber womöglich recht weit von „fast einstimmig“ entfernt. Wäre das dann auch für sie selbst ein „besseres“ Ergebnis gewesen?